© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Grüße aus Tirana
Wildwest-Filmkulissen
Hermann Rössler

In Albanien gibt es kein Corona, weil die Leute Raki trinken. Davon ist jedenfalls Ari überzeugt, als wir in einem Bergdorf nahe Rubik mit dem selbstgebrannten Schnaps anstoßen. Wir rollen im VW-Bus über die staubigen Straßen Albaniens Richtung Hauptstadt. Am Asphaltrand warten Geschäfte für Möbel, gebrauchte Autos und Baumaterialien auf Kundschaft. Händler bieten auf Holzwagen Melonen, Weintrauben, Granatäpfel und andere Früchte zum Spottpreis an. Ein „American Strip Club“, ein Casino in billig imitiertem Renaissance-Stil, gefühlt alle hundert Meter eine Tankstelle. Die Gegend vor Tirana hat etwas von einer verwaisten Wildwest-Filmkulisse.

Was Corona angeht, so ist Albanien laut Auswärtigem Amt als Risikogebiet einzustufen. Maßnahmen bleiben auch in dem Balkanstaat nicht aus. Sogar im Auto gilt Mundschutzpflicht. Ein prüfender Blick durch fremde Windschutzscheiben bestätigt: Alle haben einen Mundschutz. Sie tragen ihn unterm Kinn, am Hals, am Ellenbogen, seltener dafür überm Mund oder der Nase.   

„Deutschland, super“, ruft der junge Mann. „Wollt ihr Koks, Gras? Gute Qualität.“

Die Laune läßt sich wegen des Virus keiner verderben. Als wir in einer Art Baumarkt einkaufen wollen, empfängt uns ein mürrisch dreinblickender Dickbauch. Mit der Zeit taut er auf, lädt uns in sein Büro ein. Ein Wanderstab hängt an der Wand, den geprägte Medaillen vom Obersalzberg und anderen bayerischen Orten schmücken. Darauf angesprochen, nickt der Chef nur. Wahrscheinlich hat er keine Ahnung, woher der Stock kommt. Wir trinken Raki, rauchen Zigaretten, sehen einander abschätzend in die Augen, reden miteinander, ohne zu verstehen, lachen, schütteln Hände, das Geschäft ist besiegelt.

Im wirren Verkehr von Tirana hält ein schwarzer Mercedes neben uns. Ein gegelter Haarschopf lehnt sich mit dem dazugehörigen blassen Gesicht aus dem Fenster heraus. „Deutschland, super“, ruft der junge Mann. „Wollt ihr Koks, Gras? Gute Qualität.“ Er habe selbst mal in Essen gewohnt, sagt er. Trotzdem: nein, danke. Was er im Ruhrpott so getrieben haben mag? 

Die Albaner schätzen deutsche Qualität. Mercedes, BMW und VW sind häufig gefahrene Automarken. Elektrogeschäfte werben in schwarzrotgoldenen Farben. Nahe einem vormals sozialistischen Protzbau essen wir in einem Restaurant Lamm-Koteletts und Cevapcici, trinken Bier aus Maßkrügen. Man will ja die Heimat repräsentieren.