© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Peking rüstet sich für den Handelskrieg
China: Nicht mehr Exporte, sondern Binnenmarkt und Innovationen sollen den globalen Aufstieg beschleunigen
Peter Kuntze

Vier weitere Jahre Donald Trump oder doch der Wunschpräsident der deutschen Leitmedien, Joe Biden? Für die KP-Führung in Peking hat sich diese Frage nicht gestellt, denn niemand in China zweifelt daran, daß sich auch unter einem demokratischen Präsidenten der Konflikt mit den USA weiter verschärfen wird. Daher konnten die Mitglieder des Zentralkomitees bereits in der Woche vor der US-Wahl in demonstrativer Gelassenheit den neuen Kurs für den 14. Fünfjahresplan von 2021 bis 2025 festlegen.

Die deutsche Exportwirtschaft, besonders die Autoindustrie, kann jubeln: Auch wenn sich die Volksrepublik – nicht zuletzt wegen der von Trump eingeleiteten Entkoppelungsstrategie (Verbot von Huawei und Tiktok) – unabhängiger vom Rest der Welt machen will, bleibt der riesige Binnenmarkt mit 1,4 Milliarden Einwohnern für Importe und Investitionen weiter geöffnet. Das von Staats-, Militär- und Parteichef Xi Jinping propagierte Entwicklungsmodell eines „dualen Kreislaufs“ wurde erwartungsgemäß gebilligt.

Das ließ in deutschen Konzernzentralen sicher so manchen Sektkorken in die Luft gehen, schließlich war Deutschland 2019 zu Chinas wichtigstem Handelspartner aufgestiegen. Umgekehrt gilt das gleiche, aber Deutschland hat dabei ein Handelsdefizit von 14 Milliarden Euro: Chinesische Waren für 110 Milliarden wurden eingeführt, aber nur deutsche Produkte für 96 Milliarden Euro ins Reich der Mitte geliefert. Deutsche Handelsüberschüsse gab es hingegen mit den USA (118,7 zu 71,4 Milliarden) und Frankreich (106,7 zu 66 Milliarden).

Bereits zwei Drittel der Wirtschaftskraft der USA

Xis Strategie legt den Schwerpunkt auf die Förderung der Binnennachfrage sowie auf die forcierte Unterstützung der Forschung, um beispielsweise in der IT-Chip-Industrie unabhängig von den USA zu werden. Zur Zeit muß China für den Import von Mikrochips jährlich rund 300 Milliarden Dollar zahlen – mehr als für seine Ölimporte. Ergänzt wird der als „interne Zirkulation“ beschriebene Inlandskreislauf durch die weitere Öffnung nach außen und die Anbindung an die internationalen Märkte („externe Zirkulation“).

China hat mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 14,7 Billionen Dollar schon zwei Drittel der Wirtschaftskraft der USA erreicht und dürfte in diesem Jahr die um Großbritannien reduzierte EU überholen. In den nächsten zehn Jahren sollen die USA ein- und überholt werden, da haben Innovationen im IT-Bereich absolute Priorität. Wie die Agentur Bloomberg berichtet, hat in Erwartung gigantischer staatlicher Investitionen bereits Monate vor Beginn der ZK-Sitzung ein Wettlauf chinesischer Chip-Entwickler eingesetzt. Rund 9.500 private Unternehmen, so zitiert Bloomberg den Chef der Halbleiter-Industrie in Shenzhen, seien allein in diesem Jahr neu in die Chip-Produktion eingestiegen.

Nach Angaben von Wang Zhigang, Minister für Wissenschaft und Technologie, beliefen sich die Forschungsausgaben 2019 auf 332 Milliarden Dollar – doppelt soviel wie 2015. Gegenwärtig verfügt China über 169 Hightech-Zonen und 225 Hightechfirmen. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) meldet in ihrem Globalen Innovationsindex für 2020, China sei vom 29. Platz im Jahr 2015 auf den 14. Platz vorgerückt. Derzeit verfügt die Volksrepublik über 45 Prozent der 500 weltweit führenden Supercomputer und über die meisten Patente hinsichtlich der 5G-Telekommunikation.

Großer Profiteur vom Niedergang des Westens?

Allerdings: Mit einem BIP pro Kopf von 10.522 Dollar (IWF-Schätzung 2019/Deutschland: 46.473 Euro) liegt China nur zwischen Rußland und Argentinien. 2012 überholte China beim Pkw-Bestand Deutschland, und seither hat er sich verdreifacht – aber hierzulande kommen 47,7 Millionen Autos auf 83 Millionen Einwohner, in China 146,4 auf 1.400 Millionen. Meist wird noch mit Kohle geheizt. Und mit über 1.000 Kohlekraftwerken (US: 263; Deutschland: 74) ist China mit Abstand der global größte „CO2-Sünder“.

Mittlerweile sind Solarkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 26 Millionen Kilowatt errichtet worden, von denen fünf Millionen Haushalte in 60.000 Dörfern profitieren. Zwar hat sich das Jahreseinkommen der Landbevölkerung von 2010 bis 2020 auf 2.384 Dollar verdoppelt, doch die Kluft bleibt beträchtlich.

Im Vergleich zum demokratischen  Indien (BIP pro Kopf 2.098 Dollar) oder Indonesien (4.197 Dollar) waren die vergangenen 30 Jahre dennoch eine Erfolgsgeschichte. Etwa 700 Millionen Menschen wurden aus bitterer Not geführt und das für 2021 proklamierte erste Jahrhundertziel tatsächlich erreicht: der „Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand“. Ob dies auch für das zweite Ziel gilt, bis 2049 – dem hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik – ein „wohlhabendes, mächtiges und modernes sozialistisches Land“ zu werden, hängt von der künftigen „Planerfüllung“ ab. Manche Voraussetzungen sprechen dafür.

So ist die Zahl der Internetnutzer auf 940 Millionen gestiegen und China zum größten Online-Einzelhandelsmarkt geworden. Die IT-Konzerne Alibaba, Tencent und Huawei haben über 400.000 5G-Basisstationen installiert – da hängen Deutschland und die USA hinterher, führend ist aber Südkorea. Eine kaufkräftige Mittelschicht, mit rund 400 Millionen zahlenmäßig die größte der Welt, ist die umworbene Kundschaft nicht nur der deutschen Industrie. Schließlich möchten alle Fuß fassen in einem prosperierenden Binnenmarkt, der dreimal größer als die EU und viermal größer als die USA ist.

Schon in den nächsten Tagen werden sich viele Augen einmal mehr auf die Volksrepublik richten, wenn in Schanghai die dritte Internationale Importmesse ihre Pforten geöffnet hat und der private Fintech-Riese Ant Group einen doppelten Börsengang in Hongkong und in Schanghai ankündigt, von dem er sich mit 34,5 Milliarden Dollar das historisch bislang größte Geschäft verspricht. Daß Peking allen Widrigkeiten zum Trotz seine ehrgeizigen Ziele verwirklicht, ist somit wahrscheinlicher als der seit Dekaden Jahr für Jahr prophezeite Niedergang des den Westen wie auch Japan oder Vietnam herausfordernden kommunistischen Regimes.

National Bureau of Statistics:  www.stats.gov.cn





Ostasiatische Corona-Strategien

Das „chinesische Virus“ (Donald Trump) Sars-Cov-2 fordert die Welt heraus. Das europäische Konzept „Freiheit und Verantwortung“ hat allerdings eine zweite Infektionswelle nicht verhindern können. Die ostasiatische Alternative „Verstand und Erfahrung“ scheint erfolgreicher. Durch einen harten Shutdown von Ende Januar bis Anfang April hat das autoritär regierte China die Pandemie derzeit im Griff: Laut Johns Hopkins University (Baltimore) gab es zu Wochenanfang 91.403 Infizierte, 4.739 Todesopfer. Allein in der Provinz Hubei mit 61 Millionen Einwohnern, darunter der Metropole Wuhan als Ursprungsort der Seuche, infizierten sich 68.139 Personen, 4.511 starben. Die Wirtschaft befindet sich wieder im Aufwind. Im dritten Quartal wurde ein Wachstum von 4,9 Prozent vermeldet. Wer die Zahlen anzweifelt, nimmt das 126-Millionen-Land Japan, wo Atemmasken schon in Grippezeiten üblich sind: 102.427 Infizierte, 1.787 Tote. Südkorea (51,7 Millionen Einwohner) hat mit 26.732 Infizierten und 468 Toten die Corona-Pandemie noch besser im Griff.

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