© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Kompetenzgerangel programmiert
Doppelstrukturen: Das Familienministerium plant ein neues Jugendschutzgesetz
Boris T. Kaiser

Die Bundesregierung will mehr Jugendschutz im Netz. Mit einem neuen Jugendschutzgesetz sollen Minderjährige online künftig besser vor Belästigungen, Kostenfallen, Datentracking und Cybermobbing geschützt werden. Auch soll die Verbreitung jugendgefährdender Inhalte eingedämmt werden. 

Dafür sind ein einheitliches Alterskennzeichen (auch für Streaming- und Gamingportale), einfache Melde- und Beschwerdemöglichkeiten sowie Bußgelder geplant. Netzwerkprofile von Minderjährigen mit „Privacy by Design“-Schutz sollen von Erwachsenen nicht mehr gefunden werden. Zudem ist vorgesehen, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zur „Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“ auszubauen. Doch die Aufgaben werden bereits teilweise von den Landesmedienanstalten mit jugendschutz.net wahrgenommen – Kompetenzgerangel ist so vorprogrammiert.

Obgleich das Grundanliegen auf breite Zustimmung stößt, gibt es Kritik an den geplanten Neuregelungen des Familienministeriums unter Franziska Giffey (SPD). Während den einen die Vorschriften nicht weit genug gehen, befürchten andere Rechtsunsicherheit für die Unternehmen. Vor allem Branchenverbände sind skeptisch. So begrüßt Bitkom-Geschäftsführerin Susanne Dehmel zwar ausdrücklich das hehre Anliegen, kritisiert an dem Gesetzesentwurf aber eine Verschärfung des „Nebeneinanders von Bundes- und Länderregelungen“, eine unklare „Definition der Zuständigkeiten“ sowie die „fehlende Vereinheitlichung der Strukturen beim Jugendschutz“. Auch die medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Margit Stumpp, fordert auf medienpolitik.net ein Ende des „bisherigen Zuständigkeits-Wirrwarrs“. Allerdings seien „verpflichtende Vorgaben zur Vereinheitlichung“ in dem „Gesetzentwurf bisher nicht zu finden“.

Probleme macht auch die zwar zu recht anvisierte, im Ergebnis aber oft am Ziel vorbeiführende Balance zwischen Gesetzgebung und Appellen an die Eigenverantwortung der Medien. Wie geradezu grotesk dies mitunter auf die Spitze getrieben werden kann, zeigt seit Jahren ein Lied des Berliner Rappers Sido. Als der auf seinem Debütalbum „Maske“ enthaltene Song „Endlich Wochenende“ wegen des Vorwurfs der Drogenverherrlichung von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt wurde, entgingen der Künstler und sein Label einer dauerhaften Indizierung des gesamten Albums, indem sie das Stück bei zukünftigen CD-Pressungen durch den nicht nur in den Augen der Behörde sicherlich nicht minder jugendgefährdenden „Arschficksong“ (Relax Mix) ersetzten.

Firmen und Organisationen bieten Schutzprogramme

Möglich gemacht hatte diese öffentliche Vorführung des Staates eine Besonderheit in dessen eigenen Regelungen. Das Video des auf Provokation ausgerichteten Lieds aus der musikalischen Frühphase des „Super Intelligenten Drogen-Opfers“ hatte nämlich bereits eine Freigabe ab 16 von der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK). Da durch diese bereits eine Alterskennzeichnung erfolgt war, fiel es nicht mehr in die Zuständigkeit der Bundesbehörde. Die in Wiesbaden ansässige Einrichtung der Filmindustrie ist die hauptzuständige Stelle für die Altersfreigabe von Filmen, DVDs, Blu-rays und sonstigen Medienträgern. Ihre Angaben sind bindend. Rechtsgrundlage der Tätigkeiten der FSK sind Paragraph 14 des Jugendschutzgesetzes und die Grundsätze der FSK, welche von einer Grundsatzkommission erlassen werden, die aus 20 Vertretern der Film- und Videobranche, der öffentlichen Hand und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besteht. Das Urteil der rund 250 ehrenamtlichen Prüfer der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft hat Gewicht. Selbst Medien, die „FSK ab 18“-Kennzeichnung haben, können von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nicht mehr indiziert werden. 

Seit das Internet zum ultimativen Unterhaltungs-, Informations- und Kommunikationsmedium zugleich geworden ist, hat sich die Sache mit dem flächendeckenden Jugendschutz noch einmal deutlich verkompliziert. Die Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein hat aktuell das soziale Netzwerk Twitter ins Visier genommen. Denn anders als Facebook, wo jegliche Form von Nacktheit streng verboten ist und entsprechend strikt geahndet wird, handhabt es die Plattform mit dem Vögelchen in Sachen Erotik relativ leger. Dadurch ist Twitter inzwischen zu einem wichtigen Verbreitungsweg für Porno-Promotion geworden. Da diese damit ohne Altersbeschränkung allen Nutzern zugänglich ist, fordern die Medienaufseher das US-Unternehmen bislang erfolglos auf, deutsche Jugendschutzbestimmungen einzuhalten. Nun wurde dem Konzern ein Beanstandungs- und Untersagungsbescheid zugestellt. Die Verantwortlichen bei Twitter versteifen sich mit Verweis auf den europäischen Firmensitz in Dublin darauf, daß deutsche Stellen für das internationale Unternehmen gar nicht zuständig seien. Immerhin können Erziehungsberechtigte und Pädagogen inzwischen selbst aktiv werden. 

Unternehmen wie digitalDefense mit ihrer „Jugendschutz-Initiative“ oder die Nonprofit-Organisation JusProg bieten Programme an, mit denen Eltern und Lehrer zumindest ein Stück weit die Kontrolle über das Onlineverhalten ihrer Kinder behalten können.