© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

„Journalistischen Fehler begangen“
Der „Spiegel“ fällt ein vernichtendes Urteil über seine Berichterstattung zum GSG-9-Zugriff in Bad Kleinen 1993
Ronald Berthold

Der Spiegel hat eine seiner größten Enthüllungen als „Fake“ eingestuft. Vor 27 Jahren berichtete das Blatt, genau wie das ARD-Magazin „Monitor“, die GSG 9 hätte am Bahnhof von Bad Kleinen den im Gleisbett liegenden RAF-Terroristen Wolfgang Grams durch einen Kopfschuß aus nächster Nähe getötet. Deswegen trat Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) zurück, und Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (FDP) wurde entlassen.

Der inzwischen 82 Jahre alte Jurist gab keine Ruhe und forderte 2018 nach der Aufdeckung der Lügengeschichten des Reporters Claas Relotius, daß der Spiegel auch diesen Fall richtigstelle. Die vom Nachrichtenmagazin beauftragte Kommission kommt nun zu dem Ergebnis: Die Redaktion habe „auf Basis einer mangelhaft geprüften und falschen Aussage einen journalistischen Fehler begangen“.

Autor der Titelgeschichte „Der Todesschuß“ war der mit Journalistenpreisen überhäufte Hans Leyendecker. Die Vorwürfe der Kommission richten sich allerdings nicht nur gegen den heute 71jährigen: „Die redaktionellen Kontrollen und die Überprüfung durch die Dokumentation haben versagt.“ Die Chefredaktion, damals geleitet von Hans-Werner Kilz, trage „die Verantwortung dafür, eine nicht überprüfte, widersprüchliche Aussage dieser Tragweite zu einer Titelgeschichte zu machen“. Das Justitiariat habe zwar „Unstimmigkeiten bemerkt, aber nicht Alarm geschlagen“. Kurzum: Journalistisches Totalversagen.

Leyendecker wollte seinen angeblichen Zeugen, einen Polizeibeamten, auch im Zusammenhang mit der Aufklärung des Falles nicht benennen, um seine „Quelle“ zu schützen. Wenn es diese tatsächlich geben sollte, hätte der Journalist allerdings alle Gründe dafür. Denn sie hätte folgenschwer gelogen. Stattdessen greift Leyendecker die aktuelle Chefredaktion an: „Daß der Spiegel den Quellenschutz im Grunde nicht respektiert, ist für jemanden, der fast 20 Jahre für dieses wichtige Blatt gearbeitet hat, nicht nachzuvollziehen.“ Als „Bankrotterklärung der heutigen Spiegel-Macher“ bezeichnet er deren Frage, „ob ich einen Kontakt zu der damaligen Quelle herstellen könne“.