© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Das sind alles nur Vorzeichen
Covid-19 kündet vom Abstieg der USA
Dirk Glaser

Ein mikroskopischer Parasit, der 10.000mal kleiner ist als ein Salzkorn, „erniedrigt derzeit die gesamte Zivilisation“. Darum glaubt der kanadische Anthropologe Wade Davis, daß die Corona-Pandemie das Potential hat, das 21. Jahrhundert zu bestimmen und sie Historikern einst als Vorzeichen größerer und folgenreicherer Ereignisse gelten werde. Ähnlich wie die Ermordung des österreichischen Thronfolgers im Juni 1914 in einer Kausalität späterer Ereignisse wie der im Oktober 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise oder der Machtergreifung Adolf Hitlers (Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2020) stehe.

Die erste „absolute verheerende Auswirkung“ auf die Welt, wie wir sie kennen, zeichnet sich für Wade mit der „dunklen Seuchensaison“ ab, die in den USA bis jetzt fast 230.000 Todesopfer gefordert hat. Bereits im Frühjahr, als das Virus jeden Tag mehr als 2.000 Menschen zwischen New York und Los Angeles tötete, hätten sich die US-Amerikaner in einem „gescheiterten Staat“ wiedergefunden, mit einer „dysfunktionalen und inkompetenten Regierung“. Damit habe Covid-19 das Ende der Supermacht USA eingeläutet. Als Ärzte und Krankenschwestern an der Ostküste sehnlichst auf Notfall-Lufttransporte mit Grundversorgung aus China warteten, „öffnete sich das Tor der Geschichte zum asiatischen Jahrhundert“. Darin bestätige sich ein historisches Gesetz: Kein Imperium behaupte sich ewig, selbst wenn nur wenige seinen Niedergang erwarten.

Donald Trump, den Wade als „Lügner und Betrüger“, als die „groteske Karikatur eines starken Mannes“ geißelt, habe diesen Abstieg nicht zu verantworten, er sei dessen Produkt. Sein gesundheitspolitisches Versagen enthülle nur, was aus dem Land seit 1945 geworden ist. Zwei Generationen lang huldigte die politische Klasse, Demokraten wie Republikaner, mit gleicher „ikonischer Intensität“ der Globalisierung und ihrem extreme Ungleichheiten erzeugenden Gesellschaftsmodell. Obwohl sie nichts anderes sei als „die Jagd des Kapitals nach immer billigeren Arbeitskräften“. 

Ideologisch sei diese obszöne Gier durch den Kult der „Freiheit des Individuums“ und des „schlanken Staates“ verbrämt worden. Mit dem Resultat, daß das in den USA ohnehin nie dicht gespannte Netz öffentlicher Gesundheitsvorsorge und Sozialfürsorge sich heute auf Dritt-Welt-Niveau befindet, die Basis von Gemeinschaft und Familie ruiniert, „der Gesellschaftsvertrag unwiderruflich zerbrochen“ sei.