© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

„Diddschgebägg zum Gaffeegladsch“
Leckerei: In Sachsen hat das „Russisch Brot“ auf ganz eigene Art und Weise überlebt
Paul Leonhard

Als „Diddschgebägg zum Gaffeegladsch“ bewirbt das Dresdner Traditionsunternehmen Dr. Quendt seine bekannteste Spezialität: das klassische Russisch Brot in Form von Buchstaben. 

Dessen Genuß ließen sich die Sachsen selbst zu Zeiten der von Staats wegen verordneten deutsch-sowjetischen Freundschaft nicht verderben. Zugegebenermaßen kam das Gebäck mangels einiger Zutaten in den Jahrzehnten der Planwirtschaft etwas härter und nicht so süß wie heute daher, dafür schmeckte aber auch der Kaffee, so er denn nicht aus einem Westpaket stammte, nicht so wie heute.

Wer hat’s erfunden?

Obwohl mit dem Begriff „Russisch Brot“ in Rußland selbst – es sei denn, er hat gerade Dresden besucht – niemand etwas anfangen kann, stammt es tatsächlich aus dem Zarenreich, wo es einst unter dem Namen „Bukwi“ (Buchstaben) verkauft wurde. Der Legende nach brachte der Dresdner Bäckergeselle Ferdinand Wilhelm Hanke um 1844 das Rezept für das Buchstabengebäck an die Elbe. Hanke hatte seine Walz auch nach Sankt Petersburg geführt, wo er am Newski-Prospekt gelernt hatte, Bukwi zu backen, und dort kurzzeitig eine eigene Backstube besaß. In der Residenzstadt der sächsischen Könige eröffnete er eine „Deutsche & Russische Bäckerei“. 

Eine Erfolgsgeschichte begann, mit der lediglich ein alter Verbündeter der Sachsen aus verlorenen Kriegen etwas grantelt. Denn auch die Österreicher erheben Anspruch auf die Erfindung der Buchstabenleckerei. Nach deren Lesart soll es zum Empfang russischer Gesandter am Wiener Hof im 19. Jahrhundert erfunden worden sein, um gemäß russischem Brauch dem Gast ein Stück Brot zu reichen. 

Daß die Wiener später auf die Idee kamen, die Gebäckstücke an den Weihnachtsbaum zu hängen, brachte diesen den Namen „Geduldbiscuit“ oder „Patience“ ein. Denn erst mit der Entsorgung des Christbaumes durfte es verzehrt werden, wodurch es so ausgehärtet war, wie es die Mitteldeutschen aus Zeiten der DDR kennen.

In Dresden ruhte die Produktion in der kriegszerstörten Bäckerei nur kurz. Bereits 1946 übernahm der Dauerbackwarenfabrik „Berbö“ die Herstellung. Das Produkt galt als Kult, und es kam zu der systemtypischen Schere zwischen geringem Angebot und großer Nachfrage. Da aber Lieferengpässe ausgerechnet beim „Russisch Brot“ zu bösen Witzen führten, erhielt der Lebensmitteltechnologe Hartmut Quendt in den 1980er Jahren den Auftrag, eine Anlage für eine industrielle Produktion der Dauerbackware zu entwickeln. Da diese erst 1988 in Betrieb ging, rettete sie zwar den Sozialismus auf deutschem Boden nicht mehr, aber dem süßen Gebäck das Überleben. Denn als der VEB Dauerbackwaren liquidiert wurde, bewahrte Quendt die von ihm entwickelte Anlage vor der Verschrottung, gründete seine Dr. Quendt Backwaren GmbH und hatte 1992 das Glück, mit seinen Produkten von Spar und Allkauf gelistet zu werden, so daß diese eine weite Verbreitung fanden. 

Heute fertigt das Dresdner Unternehmen – 27 Millionen Euro Umsatz – neben Christ- und Mandelstollen, Oblaten, Dominosteinen und Dinkelchen nach wie vor hauptsächlich „Dresdner Russisch Brot“ sowie Russisch-Brot-Zahlen und seit drei Jahren auch „Säggsisch Brod zum Diddschen“ mit 18 Buchstaben, denn es wird „gonsegwend of harde Gonsonanden“ verzichtet. Die braucht der Sachse nicht in seinem Alphabet. So richtig sächsisch ist die Großbäckerei Dr. Quendt allerdings nicht mehr. Vor sechs Jahren übernahm die Aachener Printen- und Schokoladenfabrik Henry Lambertz GmbH & Co. KG und vereint damit drei führende Marken im Backwarenbereich: Aachener Printen, Nürnberger Lebkuchen und Dresdner Stollen. Zudem bietet längst auch der Konkurrent Bahlsen die bei Kindern beliebte eßbare Lernhilfe an.

Zum Selberbacken geeignet

Wer in seiner Sächsisch-Brot-Tüte einige kleine Gebäckteile findet, hat übrigens nicht etwa zweite Wahl gekauft, sondern die Ä-Striche zur Bildung des Wortes „Sächsisch“ gefunden oder „Ätsch“. 

Und wer es selbst einmal mit dem Backen probieren möchte, benötigt Eischnee, Zucker, Kakao und Mehl sowie – je nach Rezept – weitere Zutaten wie Stärkemehl, Karamellsirup und Zimt. Daraus wird ein Teig gerührt, der anschließend dünn auf einem mit eingeöltem Backpapier belegten Backblech verstrichen oder mit einem Spritzbeutel zu Buchstaben geformt wird. Das Ganze wird bei mäßiger Temperatur getrocknet und anschließend kurz gebacken. Gegebenenfalls wird die Teigplatte noch heiß in Stäbchen geschnitten. Da kann die kalte Jahreszeit ja kommen.