© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Niedertracht in Hohenschönhausen?
„Fall Knabe“: Vieles spricht für politische Kampagne
Werner Becker / Christian Vollradt

Zwei Jahre nach der Absetzung des langjährigen Direktors der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, ist dort die Relativierung der kommunistischen Verbrechen in vollem Gang. Rund 20 Jahre haben ehemalige DDR-Häftlinge über fünf Millionen Besucher durch das frühere Stasi-Untersuchungsgefängnis geführt. Eigenverantwortlich, ohne Aufpasser. Damit ist jetzt Schluß. Ihnen werden Historiker oder auch „aktuell Geflüchtete“ an die Seite gestellt, denn „Zeitzeugen-Tandems“ sollen die „Einblicke in die Geschichte des Haftortes, die Biographien politisch Verfolgter in der DDR und in autoritären Regimen von heute“ vermitteln. Zusätzlich zu Historikern oder Flüchtlingen werden bei Führungen „regelmäßig Mitarbeiter*innen der Gedenkstätte hospitieren“, heißt es in einem internen Schreiben an die Besucherreferenten, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. „Dies dient jedoch nicht der Bewertung Ihrer Leistung“, wird versichert. Es gehe darum, ob derartige Führungen dauerhaft angeboten werden. 

Seit März versucht ein Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses die Hintergründe von Knabes Kündigung aufzuklären. Politische Intrige, wie sich die Opposition aus CDU, AfD und FDP sicher ist, oder Sexismus-Skandal, wie SPD, Linke und Grüne vermuten. Rückblick. Im Herbst 2018 begründete der Stiftungsrat Knabes Entlassung mit einem „dringend notwendigen Kulturwandel“ in der Gedenkstätte. Diesen könne der Gründungsdirektor nicht gestalten, da er sich um Beschwerden von Mitarbeiterinnen, sexuell belästigt worden zu sein, nicht ausreichend gekümmert habe. Knabes Vorgesetzter, der Stiftungsratsvorsitzende und Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke), hatte den Rauswurf des antikommunistischen Historikers geschickt ins Werk gesetzt. Auf dem Höhepunkt der „Me-Too“-Debatte köderte er die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, mit dem Thema „Struktureller Sexismus“, den es angeblich in der Gedenkstätte gebe. Volltreffer. 

Noch heute lamentiert die CDU-Staatsministerin, daß „immer wieder über diesen einen Mann statt über acht betroffene Frauen“ geredet werde. Pure Heuchelei, hat doch Grütters nie mit den betroffenen Volontärinnen gesprochen. Das überließ sie ihrer Vertreterin im Stiftungsrat, Maria Bering, ebenso wie die entscheidende Abstimmung über Knabes berufliche Zukunft. Hätte die Grütters-Vertraute im fünfköpfigen Stiftungsrat ihr Veto gegen Knabes Entlassung eingelegt, er wäre immer noch im Amt, unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in diesem Gremium.

„Zeitzeugen haben Angst vor Denunziation“

Daß die CDU Knabe längst hat fallenlassen, belegt auch die Auswahl der Sachverständigen, die zur Anhörung des Bundestags über die Einrichtung eines SED-Opferbeauftragten und die Überführung der Stasi-Akten in das Bundesarchiv geladen worden waren. Früher war der Gedenkstättenchef als Experte auf CDU-Ticket gesetzt. In der vergangenen Woche standen unter anderem Parteigänger Dieter Dombrowski und Sachsen-Anhalts Beauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, auf der Liste der Sachverständigen. Beide hatten im Stiftungsrat für Knabes Rauswurf gestimmt. So schließen sich die Kreise.

Lederer konnte zufrieden sein: Der unbequeme Widersacher Knabe, der die Gedenkstätte auch als Ort der Prävention gegen aktuelle Erscheinungsformen von Linksextremismus verstanden und entsprechend ausgestattet hatte,  war abserviert, der handzahme Nachfolger Helge Heidemeyer installiert, der Kulturwandel konnte beginnen. 

Altgediente Ex-DDR-Häftlinge empfinden „Zeitzeugen-Tandems“ als Zumutung und Überwachung. „Wir lassen uns nicht bevormunden“, betonten mehrere Besucherreferenten gegenüber der jungen freiheit . Ihre Namen wollen sie nicht nennen, aus der begründeten Sorge vor Nachteilen in der Gedenkstätte. Viele von ihnen sichern mit Führungen ihren Lebensunterhalt. Die Gedenkstätte hält die Kritik für unbegründet. Da die Zahl der Zeitzeugen altersbedingt abnehme, versuche man diese durch andere Formate wie „Seminare, ZeitzeugInnengespräche und Videoformate beispielsweise auf unserem Facebook-Kanal – aufrechtzuerhalten und sogar noch zu intensivieren“, betonte die Pressesprecherin der Gedenkstätte auf Anfrage der JF. Die Tandemführungen seien bereits „seit den neunziger Jahren in der Diskussion“. Gemeinsame Führungen seien „bislang schon vereinzelt angeboten worden, werden derzeit in einer Probephase auf freiwilliger Basis noch einmal neu bewertet“. Sie böten „vor allem für die ZeitzeugInnen eine Chance, auch weiterhin in den Führungsablauf integriert zu werden, die sich komplette Führungen nicht (mehr) zutrauen“. Das „positive Element der authentischen Schilderung“, so die Sprecherin, sei „gerade bei Tandemführungen dauerhaft gesichert“.

Knabe hat andere Informationen. „Angst vor Denunziation, vor der Leitung und davor, bei den Führungen ein falsches Wort zu sagen, weil die Zeitzeugen dabei überwacht würden“, prägten das Klima, berichtete er kürzlich vor dem Untersuchungsauschuß. Den Vorwurf, er sei den Vorwürfen der Volontärinnen nicht nachgegangen, wies er vehement zurück. Der AfD-Obmann im Ausschuß, Martin Trefzer, ist sich sicher, Lederer habe die Frauen nur benutzt, um Knabe loszuwerden. Ihm war aufgefallen, daß das Thema „Sexuelle Belästigung“ während des Antrittsbesuchs von Heidemeyer im Kulturausschuß im November 2019 keine Rolle gespielt hatte. Vielmehr sei das Interesse der Koalitionsparteien an den Volontärinnen unmittelbar nach Knabes Abberufung erloschen, während diese zuvor von Lederers Senatsverwaltung intensiv betreut und für ihre Kronzeugenrolle gegen Knabe instruiert worden waren. Nur Trefzer fragte den Knabe-Nachfolger nach dem von Lederer geforderten Kulturwandel: „Wie gehen Sie da ran?“ Doch Heidemeyer ließ die Frage unbeantwortet, lobte hingegen die „wunderbaren Ideen“ einer neuen Projektgruppe. Thema: „Wie kann man migrantische Gruppen in unsere Gedenkstätten integrieren?“

Mit der Kündigung Knabes hatten die Kritiker der Zeitzeugenarbeit gehörigen Aufwind bekommen. Die ehemaligen Häftlinge emotionalisierten während ihrer Führungen zu stark, ließen Distanz zu ihrem eigenen Schicksal vermissen, so der Vorwurf. Eher linken Zeitgeschichtlern genauso wie Senator Lederer war Knabe als  unerschrockener Fürsprecher der Ex-Häftlinge ein Dorn im Auge. Der schrieb vor einem Jahr, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, Sätze, die jeden Demokraten nachdenklich stimmen müßten: „Es gibt Bilder, die brennen sich für immer ein ins Gedächtnis. Bei mir ist es das triumphierende Gesicht des einstigen Gefängnischefs von Hohenschönhausen, Siegfried Rataizick. Am Tag, nachdem mir Berlins Kultursenator Klaus Lederer mit zitternden Händen die Kündigung überreicht hatte, stand der ehemalige Stasi-Oberst vor seiner einstigen Wirkungsstätte. Er wollte sich den Auszug des in Stasi-Kreisen so verhaßten Direktors der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen persönlich ansehen“. Am kommenden Dienstag wird Knabe dem Ausschuß erneut Rede und Antwort stehen. Zum dritten Mal.