© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Ländersache: Berlin
Frau Doktor phil(leicht) Giffey
Ronald Berthold

Erst hatte die SPD mit ihrem Regierenden Bürgermeister kein Glück, und jetzt kommt mit der Hoffnungsträgerin auch noch Pech dazu. Die Wahrscheinlichkeit steigt, daß Franziska Giffey wegen Betrügereien doch ihren Doktortitel verliert. Für diesen Fall hatte sie ihren politischen Rückzug erklärt. Dabei wollen die Berliner Delegierten die Bundesfamilienministerin Ende November auf einem „hybriden“ (auf mehrere Orte verteilten und digital verbundenen) Parteitag gemeinsam mit Fraktionschef Raed Saleh zur neuen Landesvorsitzenden wählen und damit de facto zur Spitzenkandidatin küren.

Den erfolglosen sowie unbeliebten Regierungschef der rot-rot-grünen Koalition, Michael Müller, konnten die Hauptstadt-Sozis mit viel gutem Zureden aufs Altenteil in den Bundestag abschieben. Damit macht er Platz für die in Berlin durchaus Sympathie genießende Ex-Bezirksbürgermeisterin von Neukölln. Doch nun droht den in einer Infratest-Umfrage zwischenzeitlich auf Platz drei abgerutschten Sozialdemokraten (15 Prozent) ein weiteres Desaster.

Grund: Die Freie Universität nimmt Giffeys Promotion erneut unter die Lupe. Sie soll noch mehr abgeschrieben haben als der Berliner CDU-Politiker Frank Steffel. Und der mußte seinen Doktortitel abgeben. Zunächst hatte die FU der Ministerin eine „Rüge“ erteilt. Doch diese Sanktion ist im Berliner Hochschulgesetz gar nicht vorgesehen. 

Der Tagesspiegel spekuliert, die Politikerin könnte nur eine „Kandidatin auf Abruf“ sein. Es sei „völlig unklar, wie es weitergeht“. Grund: Nach einem Gutachten des Verwaltungsrechtlers Ulrich Battis wird das Plagiatsverfahren wieder aufgerollt. Zwar sei eine Rüge auch ohne gesetzliche Grundlage möglich, schreibt der Jurist, aber nur in einem minderschweren Fall. Obwohl sich Battis nicht konkret zu Giffey einläßt, nahm die Uni seine Arbeit zum Anlaß, die Akte noch einmal aufzuklappen. Ob die erneute Überprüfung bis zum Berliner Wahltermin im nächsten Herbst abgeschlossen sein wird, bleibt offen. Es könnte sein, daß die SPD mit einer Kandidatin ins Rennen geht, von der kein Wähler weiß, ob sie von dem Amt, für das sie gewählt würde, wieder zurücktreten muß.

Mindestens genauso schlimm für die Partei wäre es, wenn Giffey mitten im Wahlkampf ihren Titel verliert. Dann müßte sie die Spitzenkandidatin auswechseln. Nicht nur weil die Ministerin das angekündigt hat, sondern auch weil der Druck der den Grünen zuneigenden Hauptstadt-Medien wohl zu groß würde. Auf die Schnelle wäre dann fast nur noch der Wechsel zum im Westjordanland geborenen Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh möglich.

Jetzt schießen Spekulationen ins Kraut: Denn ob die SPD mit Giffeys designiertem Ko-Vorsitzenden den Umfrage-Rückstand auf Grüne (26 Prozent) und CDU (22 Prozent) aufholen kann, um erneut den Senat anzuführen, scheint unwahrscheinlich. Der linke Flügel bringt bereits Kevin Kühnert als Landeschef ins Gespräch. Der ungelernte, aber durchsetzungsstarke Juso-Chef wäre wegen seiner Enteignungspläne vor allem mit der Linkspartei (15 Prozent) kompatibel.

Giffey will trotz der prekären Situation, in die sie ihre Partei stürzen könnte, an ihrer Kandidatur festhalten: „Ich sehe der Sache gelassen entgegen.“