© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Alle einsteigen, bitte!
Paul Rosen

Wenn von einem Omnibus die Rede ist, wird darunter im allgemeinen ein Beförderungsmittel für den Personenverkehr verstanden. Nicht so in der Politik. Dort hat sich der Begriff des „Omnibusgesetzes“ eingebürgert, mit dem zum Teil höchst unterschiedliche Vorhaben in ein Gesetz gepackt werden. Daraus wurde inzwischen eine raffinierte Methode entwickelt, Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit auf Kritik stoßen könnten, hinter anderen Gesetzen zu verstecken und die wahren Absichten der Gesetzgebung zu verschleiern. 

Zwei Beispiele aus jüngster Zeit: Der Bundestag beschloß vergangene Woche den „Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes“. Offiziell enthält die Regelung Änderungen bei Sozialleistungen aufgrund von Preissteigerungen. Einen Tag vor der Verabschiedung im Bundestag fügte die Koalitionsmehrheit von Union und SPD im Arbeits- und Sozialausschuß des Bundestages mit einem Änderungsantrag eine folgenschwere  Bestimmung ein. Danach haben EU-Ausländer Anspruch auf Sozialleistungen, wenn ihre Kinder hier zur Schule gehen und damit ein Aufenthaltsrecht in Deutschland besteht. 

Damit wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt. Geklagt hatte ein polnischer Staatsbürger, der seit 2013 mit zwei Töchtern in Deutschland lebt. 2015 und 2016 hatte er gearbeitet, seitdem ist er arbeitslos. Beinahe unglaublich ist die Eile, mit der die Koalition die Änderung einfügte. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist vom 6. Oktober dieses Jahres. Schon einen Monat später erfolgte die Gesetzesänderung. Andere Umsetzungen von EuGH-Urteilen lassen manchmal Jahre auf sich warten.

Das Versteckspiel hat Gründe. 2016 hatte die Koalition dieser Möglichkeit des Sozialleistungsbezugs über das Aufenthaltsrecht der Kinder einen Riegel vorgeschoben und markige Worte zur Begründung gefunden: „Wir gewähren Arbeitnehmerfreizügigkeit und nicht die Freizügigkeit, sich das beste Sozialsystem in Europa auszusuchen“, hatte der CSU-Abgeordnete Tobias Zech vor genau vier Jahren im Bundestag noch erklärt. Sollten nun, nachdem dieser Riegel via Omnibusgesetz klammheimlich durch den Bundestag beseitigt wurde, auch nur 100.000 Ausländer diese Regelung in Anspruch nehmen, würden auf Städte und Gemeinden rund 750 Millionen Euro Kosten zukommen – Jahr für Jahr.

Ein anderer Fall wurde Ende Oktober im Finanzausschuß beschlossen und ebenfalls einen Tag später durch den Bundestag geschleust. Das Vorhaben ist nicht so teuer wie die Sozialhilferegelung, dürfte aber in Corona-Zeiten Kopfschütteln auslösen. Ehemalige Postbeamte können danach in den kommenden vier Jahren ab dem vollendeten 55. Lebensjahr mit ungekürzten Bezügen in den Ruhestand wechseln. Einzige Voraussetzung: Sie müssen im Ruhestand einen Dienst gemäß dem Bundesfreiwilligendienst ableisten oder ein Ehrenamt ausüben.