© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Herbstspaziergang am Hubertussee in der Bieselheide, abseits der lärmenden Welt. Es duftet nach Wald, unter den Füßen raschelt das Laub, ein wolkenloser zartblauer Himmel, die Novembersonne bricht durch das kahler werdende Geäst, streichelt herabfallende Blätter, wärmt das Herz. Rasch stellt sich eine tiefe Zufriedenheit ein, während ich den Anfang eines Gedichts von Theodor Fontane erinnere: „O du wunderschöner Herbst,/ Wie du die Blätter golden färbst,/ Deiner reinen Luft so klar und still,/ Noch einmal ich mich freuen will.// Ich geh den Wald, den Weiher entlang;/ Es schweigt das Leben, es schweigt Gesang,/ Ich hemme den Schritt, ich hemme den Lauf/ Erinnerungen ziehen herauf.“


Am Tag zuvor Abschied vom Flughafen Tegel. 1948 im Zuge der Berlin-Blockade wenige Wochen nach dem Beginn der allierten Luftbrücke in nur drei Monaten errichtet, war er ein Symbol des Freiheitswillens und gehörte zur Hauptstadt wie der Funkturm und andere Wahrzeichen. Zudem gibt es in meiner Familie die Erzählung, daß die Großmutter mütterlicherseits als Trümmerfrau indirekt am Flughafenbau beteiligt gewesen sein soll. Entsprechend wehmütig fällt nun der letzte Betriebstag dieses für seine kurzen Wege zu Recht gerühmten innerstädtischen Flughafens aus. Ein Berliner Busfahrer – sonst zuweilen für ihre ruppige Schnauze berühmt-berüchtigt – hielt den Fahrgästen der TXL-Flughafenlinie sogar eine emotionale Abschiedsrede: „Liebe Fahrgäste ... mit diesem Tag geht eine Ära von einem großartigen und beliebten Flughafen zu Ende. Mit unserem Flughafen hat die Hauptstadt Geschichte geschrieben, Geschichte, die wir nie vergessen und für immer in unseren Herzen behalten werden.“


Lektüreempfehlung: „Olympia“, Volker Kutschers achter Roman rund um seinen Mordermittler Gereon Rath, erschienen vorige Woche bei Piper. Die Handlung spielt im Sommer 1936, Oberkommissar Rath muß verdeckt eine Reihe von Todesfällen im Olympischen Dorf aufklären – und sich dabei mit dem Sicherheitsdienst, Gestapo-Leuten und SS-Angehörigen plagen, die dahinter eine kommunistische Verschwörung wittern und ihm das Leben schwermachen. Während Eigenbrötler Rath trotzdem anderen Spuren nachgeht, gerät er selbst zunehmend in Gefahr. – Wie es Kutscher mit seinem ausgeprägten Sinn für Zeitkolorit abermals gelingt, historische Fakten und schriftstellerische Fiktion miteinander zu verschränken, ist einfach meisterhaft.