© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Von Martin Luther und dem schlesischen Aschenputtel
Unterwegs: Auf den Spuren des Adelsgeschlechts Schaffgotsch zwischen Hirschberg und Greiffenberg
Paul Leonhard

Ein großes schlichtes Bildnis Martin Luthers ist der erste überraschende Blickfang in der so überaus prächtigen Kirche. Streng blickt der Mann in all den barocken Glanz. Und der Besucher staunt: der Reformator im zweimal – erst von den Habsburgern, dann von den Polen – rekatholisierten Schlesien. Doch ist die Erlöserkirche in Bad Warmbrunn am Fuß des Riesengebirges tatsächlich eine evangelische. In ihrer heutigen Form zu preußischen Zeiten erbaut, gehört sie der Evangelisch-Augsburgischen Heilands-Kirchengemeinde und hat sich im wesentlichen so erhalten, wie sie 1777 erbaut wurde: ein spätbarocker Sakralraum mit freistehender Kanzel und prächtigem Orgelprospekt über dem Altar. Alle Logeneinbauten sind vorhanden. Sogar die  Anfang des 19. Jahrhunderts in der Josephinenhütte in Schreiberhau hergestellten Kristalleuchter. Und das Taufbecken von 1742 stammt aus dem hölzernen Vorgängerbau.

Mit Kaiser Barbarossa nach Schlesien

An einer der Logen ist das Wappen der einstigen Herrschaft zu erkennen, auch an einem der großformatigen Bildnisse. Hier residierte einst das mächtige Geschlecht der Schaffgotschs. Das kleine Schaf vor einem Baum verkündet es als Helmzier, kleine Wappenschilder verweisen auf die weitere Geschichte.

Unzerstört auch das prächtige Residenzschloß des wohl ursprünglich aus Franken und Tirol stammenden Rittergeschlechts, das mit Kaiser Barbarossa nach Schlesien kam und bis 1945 zu den größten Grundstückseigentümern gehörte. Sicher, die einst reichen Sammlungen sind in alle Winde zerstreut, geraubt von den Eroberern, die am 9. Mai 1945 in die unversehrte Stadt einrückten, und ihren Vasallen, die vor 75 Jahren noch den Versprechen der Kommunisten mißtrauten, daß dieses reiche Land tatsächlich auf immer und ewig ihnen gehören sollte, und lieber dem Spatzen in der Hand den Hals umdrehten, als die Taube auf dem Dach zu füttern.

Bädertourismus als Einnahmequelle

Bad Warmbrunn, von 1816 bis 1945 zum preußischen Landkreis Hirschberg gehörend, ist heute ebenso wie das für sein Gerhart-Hauptmann-Haus bekannte Agnetendorf ein Stadtteil von Hirschberg. Und noch immer ziehen die bereits im 13. Jahrhundert entdeckten radiumhaltigen Schwefelquellen Heilung Suchende an. Die Schaffgotsch, die das Gut Warmbrunn 1381 erwarben, entdeckten früh den Bädertourismus als wichtige Einnahmequelle. Sie investierten in Hotels, Kurhäuser und weitere Infrastruktur. Durch die Parkanlagen mit ihren mächtigen Baumriesen und grünen Wiesen spazierten bereits Künstler wie Caspar David Friedrich, Georg Kersting, Carl Gustav Carus, Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Theodor Körner.

Nahe von Bad Warmbrunn thronen die begehbaren Überreste der Burg Kynast auf einem Felsen. Erst als die Feste abbrannte, zogen die Schaffgotsch in die Stadt. Wie sie im 16. Jahrhundert aussahen und sich kleideten, zeigen lebensgroße Abbildungen an der Kirchenmauer der Anfang des 18. Jahrhunderts mit finanzieller Hilfe des Patronatsherrn Hans Anton von Schaffgotsch errichteten katholischen Kirche. Auf den steinernen Epitaphen sind Frauen und Männer aus dem Geschlecht der Schaffgotsch dargestellt, aber sie stammen nicht aus Warmbrunn, sondern wurden aus einem anderen Ort hierhergebracht.

Als letzter Familiensitz des Geschlechts ist Bad Warmbrunn der richtige Ort, um sich kreuz und quer durch Schlesien auf die Spuren dieser einst mächtigen Familie zu begeben und viel über die deutsche Geschichte Schlesiens, über Glaubenskriege und Handelswege zu erfahren. Überall in Schlesien baute und erwarb das Geschlecht Burgen und Schlösser – in Koppitz, Hermsdorf, Schwarzbach, Trachenberg, in Prag unter Oberstburggraf Johann Ernst Anton Schaffgotsch das Palais Kaunitz. Mit der Burg Altkemnitz bei Hirschberg, heute eine Ruine, um die sich ein Verein kümmert, war bereits 1242 Siegboth (Sibotho) aus der Familie der Schafe (Ovium) von Heinrich II. belehnt worden.

Aus den Schoffs, die ihrem Erstgeborenen traditionell den Rufnamen Gotsche (Gotthard) gaben, wurden die Schaffgotsch. Diese stritten für Landesfürsten und den Kaiser, verdienten sich Privilegien und verloren diese. Seitenlinien entstanden, blühten auf und starben aus. Sie wurden Landeshauptmann, Kanzler, Politiker, Domherren und drei sogar Bischöfe, waren Freiherren, Reichsgrafen und fürstengleich, kauften und verkauften Herrschaften, breiteten sich bis nach Böhmen aus. Geschickte Heiratspolitik mehrte das Reich.

Die kleine Stadt Greiffenberg mit der Burgruine Greiffenstein und einem interessanten, weil erst 1929 aus Stahlbeton errichteten Rathausturm, kennzeichnet nicht nur die Grenze der Herrschaft, sondern auch die Schlesiens. Nach dem Sieg der Gegenreformation errichteten die protestantischen Bürger, die den Schlüssel zu ihrer Stadtkirche abgeben mußten, ein paar hundert Meter außerhalb der Stadtmauern, jenseits des Queis und damit auf kurfürstlich-sächsischer Flur ein neues Gotteshaus. Zum Gottesdienst zogen sie fortan ins Nachbarland.

Während diese Grenzkirche nach 1945 von den Polen komplett abgebrochen wurde, hat sich die Greiffenberger Stadtkirche erhalten und damit auch ein Epitaph der Schaffgotsch im Renaissancestil. Es erinnert an das Unglück, das der Familie zwischen 1584 und 1589 widerfuhr, als gleich mehrere Angehörige überraschend starben. Zehn vollplastische Figuren, die ein Kruzifix anbeten, hat ein sächsischer Steinmetz hier im 16. Jahrhundert geschaffen. Die in Sandstein gehauenen Porträts zeigen die Toten in natürlicher Größe. Auch in Reußendorf gibt es noch ein Mausoleum mit seht gut erhaltenen figürlichen Grabsteinen der Familie Schaffgotsch.

Gern erzählt wird noch heute die Geschichte vom tragischen Ende des Ritters Hans Ulrich Schaffgotsch, einst hochgeehrt von Kaiser Karl Ferdinand II. für seine Treue mit dem Titel Semperfrei ausgezeichnet, dann aber 1635 in Regensburg enthauptet, weil er zu den Generälen Wallensteins gehörte, als dieser den Kaiser bedrohte.

Ein Happy-End hat dagegen die Geschichte vom schlesischen Aschenputtel, die sich wie ein Grimmsches Märchen erzählen läßt: Ein aufgewecktes, aber armes Mädchen, ein griesgrämiger häßlicher Alter, ein ebenfalls armer Prinz und böse Verwandte sind die wichtigsten Personen. Das Kind wird plötzlich zur reichsten Frau des Landes, weil Karl Godulla, größter Bergbauunternehmer Oberschlesiens, der sie adoptiert hat, sie überraschend als Alleinerbin bestimmt hat. Und als der arme Graf ihr Herz gewinnt, hat auch der preußische König Friedrich Wilhelm IV. ein Einsehen. Damit nicht die strengen Standesregeln dem Liebesglück im Wege stehen, hebt er das Arbeiterkind in den Adelsstand. Damit kann Graf Hans Ulrich von Schaffgotsch 1858 seine Liebste, die 1842 im oberschlesischen Zabrze, dem späteren Hindenburg, geborene Johanna Grzyik, nun geadelte von Schomberg-Godulla, heiraten.