© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Korrektive Revolution in der Levante
Vor fünfzig Jahren eroberte der Luftwaffengeneral Hafiz al-Assad mit einem Putsch die Macht in Syrien und etablierte eine Diktatur
Thomas Schäfer

Zwischen dem 17. April 1946, dem Tag der Proklamation der unabhängigen Syrischen Republik, und dem 16. November 1970 gab es in dem nahöstlichen Land 21 Militärputsche und 43 Regierungswechsel. Einer der aktivsten Strippenzieher während der letzten Umstürze war der Luftwaffenoffizier Hafiz al-Assad, welcher der Religionsgemeinschaft der Alawiten angehörte, die zum schiitischen Spektrum des Islam zählt. Nachdem er bei der Machtübernahme der Arabischen Sozialistischen Baath-Partei im März 1963 eine Schlüsselrolle gespielt hatte, avancierte Assad schlagartig vom Hauptmann zum Generalleutnant sowie zum Mitglied des Revolutionären Kommandorates, Verteidigungsminister und faktischen Chef der syrischen Luftwaffe. In dieser Eigenschaft rivalisierte er mit dem Generalstabschef und stellvertretenden Baath-Generalsekretär Salah Dschadid, der genau wie Assad danach strebte, die Herrschaft des zivilen Staatsoberhauptes Nureddin Mustafa al-Atassi durch eine Militärdiktatur unter seiner Führung zu ersetzen.

Zur Eskalation des Konfliktes zwischen den beiden hochrangigen Putschexperten kam es während des „Schwarzen Septembers“ von 1970. Damals tobte in Jordanien ein Bürgerkrieg, in dem die Sicherheitskräfte des Landes und die Guerillaverbände der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gegeneinander kämpften, wobei Syrien schließlich 16.000 Soldaten und einige hundert Panzer in das Nachbarland entsandte, um die schwer bedrängte PLO zu unterstützen. Deswegen setzte König Hussein von Jordanien seine Luftwaffe ein, woraufhin sich das von Dschadid in Marsch gesetzte Kontingent zurückziehen mußte. Denn die syrischen Kampfflugzeuge blieben aufgrund eines Startverbotes von Assad am Boden – zum ersten wollte er damit Dschadid düpieren, zum zweiten aber auch ein Eingreifen Israels vermeiden.

Aufstand der Muslimbrüder blutig niedergeschlagen

In Reaktion hierauf veranlaßte Dschadid, daß der Anfang November tagende Kongreß der Baath-Partei den Beschluß faßte, Assad alle Ämter zu entziehen. Um der Entlassung zuvorzukommen, schlug der Generalleutnant am 16. November 1970 los. Im Rahmen dieses später offiziell als „Korrektive Revolution“ bezeichneten Putsches wurden Dschadid und al-Atassi gestürzt. Beide wanderten ohne Prozeß ins Gefängnis. Der ehemalige Präsident saß dort bis zu seiner Entlassung aus gesundheitlichen Gründen im Jahre 1992, während Dschadid nie wieder in Freiheit kam und 1993 in der Haft starb.

Assad ließ zunächst Ahmed al-Chatib zum Staatsoberhaupt Syriens ernennen, nahm dann aber am 12. März 1971 dessen Platz ein, nachdem er im Zuge einer „Wahl“ ohne Gegenkandidaten über 99 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Kurz darauf stieg der Offizier auch noch zum Generalsekretär der Baath-Partei auf. 

Assad gerierte sich in der Folgezeit als unversöhnlicher Gegner Israels und paktierte zugleich mit der Sowjetunion, die Syrien massivst militärisch aufrüstete. Außerdem propagierte er den Umbau der Gesellschaft seines Landes hin zum Sozialismus, während er de facto eine Phase der ökonomischen Liberalisierung zugunsten des Mittelstandes einleitete. Das führte ebenso zu mehr innenpolitischer Stabilität wie die konsequente Unterdrückung jeglicher Opposition mit Hilfe von mehr als 20 Geheimdiensten. Besonders hart traf dies die Muslimbrüder, welche schließlich zum Aufstand bliesen, der 1982 im Massaker von Hama blutig niedergeschlagen wurde, womit der Grundstein für den heute noch tobenden Bürgerkrieg in Syrien gelegt war. Und Assad überstand auch den Putschversuch seines Bruders Rifaat im Jahre 1983.

Um den Staats- und Parteichef entspann sich beizeiten ein ausgeprägter Personenkult: So firmierte er in der staatlich gelenkten Propaganda als „Löwe von Damaskus“ und historische Figur analog dem mythischen Sultan Saladin. Andererseits führte der Tod von Hafiz al-Assad am 10. Juni 2000 aber nicht zum Ende der Diktatur im Lande. Denn wenig später trat Baschar al-Assad in die Fußstapfen seines Vaters – mit den sattsam bekannten Folgen für die weitere Entwicklung in Syrien und darüber hinaus.