© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Frisch gepresst

Parteigenossen. Sein Forscherleben hat der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter darangesetzt, um das Geheimnis zu ergründen, warum zwar nicht die Mehrheit, aber doch gut vierzig Prozent der Deutschen in der letzten, halbwegs freien Reichstagswahl vom März 1933 für Adolf Hitlers NSDAP stimmten. Neben „Hitlers Wählern“, deren Sozialstruktur er bereits in seinem Standardwerk von 1991 durchleuchtete, galt sein Interesse stets auch seinen Parteigenossen. Die Resultate vieler Einzelstudien dazu hat der Emeritus Falter jetzt in einer Gesamtbetrachtung gebündelt. Demnach lagen sowohl Hitler wie die für die „Entnazifizierung“ zuständigen Spruchkammern der Nachkriegszeit in ihrer Einschätzung richtig, der zufolge zwischen 60 und 80 Prozent der zehn Millionen NSDAP-Mitglieder zu den vom „Führer“ zutiefst verachteten „Mitläufern, Opportunisten, Trittbrettfahrern und Konjunkturrittern“ zählten, denen 800.000 „idealistische Kämpfernaturen“ als „historische Minorität“ gegenüberstanden. Als Basis für die Behauptung einer deutschen „Kollektivschuld“ taugten diese Daten also nicht. (dg)

Jürgen W. Falter: Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919–1945. Campus Verlag, Frankfurt 2020, gebunden, 584 Seiten, 45 Euro





Balkanexperte. Vorausgesetzt, die Quellen sprudeln, läßt sich eine Epoche auch aus dem Blickwinkel von „Randfiguren“ der Historie in ihrer farbigen Fülle vortrefflich erschließen. So wie das in der Münchner Dissertation geschieht, die Andreas Roth der Biographie Johann Albrecht von Reiswitz’ widmet. Als Autodidakt hat sich der promovierte Philosoph von Reiswitz in den zwanziger Jahren zum Spezialisten für die Geschichte der nach dem Ersten Weltkrieg im Königreich Jugoslawien zwangsvereinigten südslawischen Völker ausgebildet. Der „jungkonservative Vernunftrepublikaner“ empfahl sich daher 1941 der deutschen Besatzungsmacht in Serbien als idealer Kunstschutzoffizier. Zu den wesentlichen Ergebnissen von Roths profunder Monographie gehört die Erkenntnis, daß der von Reiswitz geleitete militärische Kunstschutz sich nicht des Kunstraubs schuldig machte, bei prähistorischen Grabungen stets die Leitlinien „archäologischer Ethik“ beachtete und sich darum große Verdienste um die Bewahrung des serbischen Kulturerbes erworben habe. (ob)

Andreas Roth: Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Vom unbequemen Südosteuropaexperten zum Kunstschützer. Ares Verlag, Graz 2020, gebunden, 494 Seiten, 39,90 Euro