© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Joe Biden wird „grüne“ europäische Hoffnungen enttäuschen
Kontinuität statt Bruch
Thomas Kirchner

Vor elf Monaten verkündete Ursula von der Leyen ihren „Green Deal“ für die EU. Dann kam Corona, und die Pandemie vertrieb die Treib­hausgasfurcht. Joe Biden umschiffte im Wahlkampf den „Green New Deal“ der US-Demokraten durch eine Gratwanderung zwischen linken Ideologen und pragmatischen Gewerkschaftlern. Sollte der Ex-Vizepräsident im Januar ins Weiße Haus einziehen, wird er pragmatisch handeln: Barack Obama verbot die Öl- und Gasgewinnung durch Fracking auf bundeseigenem Land – und die Umweltlobby jubelte. Doch der Großteil der Förderung findet auf Privatland statt. Unter Obama wurden die USA von Ölimporten unabhängig, was im Sinne seiner global ambitionierten Regierung war.

Für eine „Übergangszeit“ will Biden Fracking beibehalten – und die dürfte länger dauern als seine Präsidentschaft. Rhetorisch wird es für „progressive“ Abgeordnete und Medien Seelenbalsam geben, aber niedrige Benzinpreise (Kalifornien: umgerechnet 60 Cent pro Liter; Texas: 30 Cent) sind parteiübergreifend wichtig, denn Amerikaner fahren viel und selten Golf oder Smart. Und vom Tesla 3 wurden von Januar bis September 94.750 Stück abgesetzt – von den Pick-ups 2,1 Millionen und von den SUVs 5,3 Millionen. Mobilitätsrestriktionen sind angesichts der großen US-Entfernungen politischer Selbstmord.

Manche hoffen auf eine Umweltwende, doch drastische Änderungen sind unwahrscheinlich. Der Bruch zu Donald Trump liegt im Stil, nicht in der Sache. Biden versprach im Wahlkampf, seine Regierung werde E-Autos „Made in USA“ anschaffen. Gewerkschaftler hörten dabei „America First“, Umweltschützer hörten weniger CO2. Offen bleibt, welche Autoteile aus Mexiko importiert werden. Auch bei erneuerbaren Energien verheißt der „Green New Deal“ Arbeitsplätze – aber bei Biden klingt das eher nach Windrädern von General Electric als nach europäischen Importen von Vestas. Biden will dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten, doch eine Ratifizierung ist im Kongreß nicht einfacher als unter Obama.

Steuererhöhungen für Unternehmen und Wohlhabende sind mit einem republikanisch dominierten Senat unmöglich. Selbst mit demokratischer Mehrheit wäre eine Gesamtbelastung von Spitzenverdienern, die in New York und Kalifornien auf über 62 Prozent steigen würde, ein Kraftakt. Trumps Strafzölle versetzen die USA zudem in eine „Pole position“ bei Verhandlungen mit der EU. Biden wird diese nicht verspielen. Zumal die mächtigen Autogewerkschaften achtgeben werden, daß die Asymmetrie bei Zolltarifen nicht wiederhergestellt wird. Der Nafta-Nachfolger USMCA sollte eine Warnung sein: Den Demokraten um Nancy Pelosi war Trump nicht hart genug in den Verhandlungen mit Mexiko und Kanada. Einen Kuschelkurs für Europa wird es unter Biden nicht geben. Mit ihm regiert diesbezüglich der Status quo.