© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Zeitschriftenkritik: Traditio et Innovatio
Komplexe Weltordnung
Werner Olles

Aufgrund der Corona-Krise erscheint die Ausgabe 1/2020 des Magazins der Universität Rostock Traditio et Innovatio erst nach einer längeren Pause. „Welt aus den Fugen“, titelt das Magazin und präsentiert eine Figur mit einer Pestmaske. Zwar ist ein Universitätsmagazin nicht geeignet, tagesaktuell zu informieren, während Virologen um eine Beschreibung der Infektionsdynamik wetteifern und die von den umstrittenen Maßnahmen der Regierung betroffenen Bürger diese unterschiedlich bewerten. Doch zeigt es sich, daß die Weltordnung einer ungewissen Zukunft entgegengeht. Dabei sind wir kaum fähig, uns in einer unübersichtlichen globalisierten Welt zurechtzufinden, wie es der britische Dokumentarfilmer Curtis Adams darstellt, der ein Versagen der politischen Eliten vermutet, die uns die Welt allzu einfach in Gegensätzen von „Gut“ und „Böse“ zu erklären versuchen. Gut beraten sei man, sich dieser geistigen Bequemlichkeit zu verweigern und sich des gesunden Menschenverstandes zu bedienen, was angesichts des Feuerwerks der Mainstreammedien mit ihrer Panikmache, Staatspropaganda, Filterkammern und Echoblasen nicht einfach ist. Allerdings ist die Behauptung, daß „rechtspopulistische Kräfte auch gewachsene Demokratien erschüttern“, wohl übertrieben, auch wenn Digitalisierung und Globalisierung die Arbeits- und die Lebenswelt dramatisch verändern und illegale Massenzuwanderung und die Covid-19-Seuche vor keiner Grenze haltmachen. Statt vernünftige Maßnahmen dagegen zu treffen, läßt sich die etablierte Politik von haltlosen Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung paralysieren.

Corona wirkt da wie ein Brennglas, in dem sich ungelöste Fragen sammeln, welche die Grundwidersprüche verschärfen und Institutionen in Frage stellen. Die Gesellschaft scheint gespalten wie nie zuvor, der Populismus stellt die Gestaltungskraft einer rat- und mutlos wirkenden Politik auf eine harte Probe. Für die politische Kultur kann das nur gut sein, denn „die Krise drängt in der Tat in die Deutung“, so die evangelische Theologin Martina Kumlehn in ihrem Beitrag über „deutungsmachtsensible Beobachtungen in der Corona-Krise“. Diese „Deutungsmachtkonflikte“ oszillieren „zwischen Ordnung und Chaos“, was in einer Situation „starker Entsicherung“ zum Entstehen neuer wirksamer Narrative auf biographischer und gesellschaftlicher Ebene führen kann. Die „Hyperkomplexität der Lage“, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Diskurse, die politischen Kommentare, die Pro- und Re-gnosen konkurrieren mit den unmittelbar erlebten Erfahrungen der Bürger, die „über Nacht bereit gewesen seien, ihre Freiheitsrechte aufzugeben“ (Giorgio Agamben). Er sieht die Wissenschaft als neue Religion und verweist auf „das eschatologische Vokabular der Berichterstattung“. Es gehe um grundlegende Überzeugungen, letzte Werte und um Glauben und Vertrauen: „Wer hat das Sagen? Wem wird geglaubt? Worauf wird vertraut? Was ist evident? Was ist relevant? Was ist wahr?“

Kontakt: Universität Rostock,  Presse- und Kommunikationsstelle, Universitätsplatz 1, 18055 Rostock. 

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