© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Ein philosophischer Spaziergang durchs Corona-Land
Wem gehören meine Viren?
Peter J. Preusse

Wem gehören meine Viren? Die Tatwaffe, mit der ich die körperliche Unversehrtheit von Mitmenschen angreife, kann in meinem Besitz sein, indem ich mir etwa einen Lkw leihe oder einfach unberechtigt nehme, oder ich bin Eigentümer etwa des Messers, mit dem ich gerade Allahs Ehre verteidige. Aber wem gehört das Kohlendioxid, das ich ausatme, und wem das Klima, das ich damit vorgeblich belaste? Wem das vom Namensgeber des vielzitierten Instituts, Robert Koch, entdeckte Tuberkulose-Bakterium, mit dem jemand sich bei mir anstecken könnte? Wem endlich die ungezählt vielen Tröpfchen- und Aerosol-Ausscheidungen, ein Mikrokosmos verschiedenster Unappetitlichkeiten?

Während Besitzer einfach der ist, welcher über eine Sache willentlich verfügen kann, ist die Frage nach dem Eigentum durchaus komplex und philosophisch wie historisch stets umstritten. Wegen der Möglichkeit der freien Verfügung geht aber mit Eigentum wie mit Besitz gleichermaßen die Pflicht zur Rechtfertigung, die Ver-Antwortung einher.

Aber die Luft, die ich atme, die Feuchtigkeit, die ich verdunste, wie auch den Schatten, den ich werfe, kann und muß ich nicht verantworten, denn sie unterliegen nicht meiner Willkür. Solches gehört zu den allgemeinen Lebensumständen, deren Gesamtheit erst die physische Möglichkeit der organischen und speziell der menschlichen Existenz ausmacht. Diese allgemeinen Umstände mit allen ihren fördernden und gefährdenden Aspekten prägen unsere Evolution fortlaufend: schneller rennen, weiter denken, besser verstecken hilft, und so auch eine höhere Widerstandskraft gegen Parasiten, Pilze, Bakterien und Viren.

Güter sind dagegen aus dem Naturzustand entnommene und durch zielgerichtete Einhegung und Bearbeitung zu menschlichen Zwecken wie Konsum und Produktion geschaffene Dinge; als solche sind sie zunächst Eigentum dessen, der die betreffenden Dinge zuerst zu Gütern gemacht hat. Diese können danach einverständlich getauscht, überlassen und verliehen oder aber gestohlen respektive geraubt werden; sie allein bilden Eigentum und Besitz.

Was sagt das Recht? Es sagt zum Beispiel, daß ich soundso viel Steuern zahlen muß; oder meinen „Himbeer-Fruchtaufstrich“ nicht als „Marmelade“ verkaufen darf: Solches Recht beschneidet meine Verfügungsoptionen über Dinge, die ich durch Arbeit und im freiwilligen Tausch erworben habe. So spricht das positive, das gesetzte Recht, eben das Gesetz: heute so, morgen so.

Der fast beiläufig irgendwo zwischen Briefgeheimnis und Petitionsrecht gequetschte Eigentumsartikel 14 des Grundgesetzes „gewährleistet“ das Eigentum, bestimmt es aber nicht. Er ist eine reine Leerformel. Denn „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt“. Es genügt also eine einfache Mehrheit indirekt gewählter Parlamentarier und Verfassungsrichter, in letztlich beliebiger Weise „Inhalte“ zu definieren und „Schranken“ zu errichten: Die formal über fünfzigprozentige kollektive Entscheidung beansprucht prinzipiell höheren Rang als der real hundertprozentige individuelle Konsens zweier Vertrags-, Interaktions- und Tauschpartner. Und zögert nie, diesen Anspruch per rechtlicher Gewalt zu realisieren. Frieden sieht anders aus.

Aber dieses „Gesetz“ kann auch die Exekutive ermächtigen, vorzuschreiben, daß ich mein Haus, meine Wohnung, mein Zimmer im Pflegeheim nicht verlassen darf und wann ich einen Mund-schutz tragen muß. Ist denn im Eigentumsartikel 14 auch vom Eigentum an meinem Körper, meiner Zeit, meiner Gesundheit die Rede? Unterliegt neben meinem veräußerlichen Eigentum jetzt auch mein unveräußerliches Selbsteigentum der Definitions- und Beschränkungsgewalt Ich-fremder Kollektive? Keiner sollte zweifeln, daß Heerscharen von staatlich ausgebildeten, staatlich geprüften, staatlich gebührengeordneten und meist auch staatlich-stattlich bezahlten Juristen solche Fragen, und sei es nach eindrucksvollen Pirouetten und Schaukämpfen fürs Publikum, letztlich bejahen werden – spätestens auf der Grundlage des aktuellen Corona-Ermächtigungsgesetzes.

Es gibt nur eine einzige Norm für Frieden: Knappe Ressourcen, die nicht gleichzeitig von verschiedenen Menschen für verschiedene Zwecke genutzt werden können, müssen unter dem alleinigen Verfügungsrecht eines eindeutigen Eigentümers stehen.

Was sagt die Vernunft? Bis tief ins vergangene Jahrhundert hinein blieb ihr nichts anderes, als an ihren armen Verwandten, das Gefühl, zu appellieren. Daß dieses willensstarke Gefühl, obwohl von der Besonnenheit der Vernunft noch kaum beleuchtet, das Eigentum am eigenen Körper, der eigenen Gesundheit und am eigenen Willen bezeugen würde, war in dem Maße sicher, wie Menschen sich nach wissenschaftlichen und technischen Fortschritten im Verständnis und in der Bändigung der Natur vom Selbstverständnis als ausgelieferte Kreatur eines Schöpfergottes abwenden konnten. 

Vernunft versuchte also, dem Recht von Gottes Gnaden, vermittelt über Autoritäten wie Papst, Kaiser, König oder Parlamentarischer Rat, ihr Naturrecht entgegenzustellen, das von jedem eigenständig erkannt werden könne – mit bescheidenem Erfolg trotz der gewaltigen Energiequelle in Form des natürlich-kultürlichen Rechtsempfindens der meisten. Denn im Gegensatz zum Recht von Gottes Gnaden hatte das Naturrecht keinen Vertreter, der es nicht nur positiv bis in alle denkbaren Verästelungen durchdeklinierte und kodifizierte, sondern es dann auch noch mit seinen ganz realen Machtmitteln durchsetzte.

So hatte das Naturrecht nicht nur dem Machtwillen nichts entgegenzusetzen, welcher mit dem positiven Recht liiert war und ist, sondern war, gestützt auf Gefühl statt auf Argument, auch faktisch ungeeignet, zwischen konträr gefühlten Rechtspositionen zu vermitteln und zu entscheiden. Daher also auch der Triumph des positiven Rechts, auch wenn es die zunehmend als sicher gefühlte Eigen-Gesetzlichkeit, die Auto-Nomie mit Füßen treten mochte.

Was sagen Ethik und Moral? In der Nachfolge von Mises und Hayek wurde die Österreichische Schule der Nationalökonomie durch Rothbard und Hoppe zu einer Theorie der rationalen Ethik fortentwickelt. Ausgehend von den zwei selbstevidenten Grundannahmen, daß der Mensch handelt, um einen unbefriedigenden Zustand eines Teils seiner Welt in einen befriedigenderen zu verwandeln, und daß die vorgefundenen inneren und äußeren Zustände und Ressourcen ungleich verteilt sind, konnte gezeigt werden, daß es denknotwendig nur eine einzige Norm für Frieden gibt: Knappe Ressourcen, die nicht gleichzeitig von verschiedenen Menschen für verschiedene Zwecke genutzt werden können, müssen unter dem alleinigen Verfügungsrecht eines eindeutigen Eigentümers stehen. Dies ist die einzige Alternative zum Vorrecht des individuell oder kollektiv Stärkeren.

Zudem ist eine dritte substantielle Grundannahme notwendig , um Selbsteigentum und Eigentum zu begründen: Die Wertungen, die das Leben jedem ständig abverlangt, etwa in der Wahl zwischen Zeit und Geld, Eva und Lilith oder Gesundheit und Glück, beziehen sich letztlich alle auf das gleiche ultimativ knappe Gut: die jedermann verfügbare gesunde Lebenszeit. Denn da er mit seinen zeitlichen, gesundheitlichen und materiellen Ressourcen nicht alles haben kann, muß er wählen, und zwar angesichts eines stets zweifelhaften Vorrats an restlicher Körperzeit. Und diese Wertmaßstäbe können als Ausfluß seiner individuellen Person mit ihren willkommenen und unwillkommenen Gegebenheiten nur ihm selbst und keinem anderen gehören; sie begründen erst seine Autonomie.

Gemäß dieser reziproken Autonomie können sich Menschen im Rahmen ihrer biologischen und umweltbedingten Gegebenheiten in Gemeinschaften mit solchen einfügen, die im ganzen oder in einzelnen Aspekten des Lebens Werte teilen; zusätzlich zur universalen Regel des Selbsteigentums und Eigentums sind Gemeinschaften freiwilliger Mitgliedschaft daher durch nichtuniversale Regeln der Moral, also des Helfens, Teilens und Tabuisierens, verbunden.

Wie also mit der Pandemie umgehen? Ob zwei Menschen bereit sind, ihre Atemluft und den berührten Raum miteinander zu teilen, hängt prinzipiell von der beiderseitigen Einschätzung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag im weitesten Sinne ab: Neben finanziellen Aspekten stehen, meist sogar dominant, lebensnotwendige und emotionale Faktoren wie Arbeit, Einkauf, Nähe, Austausch, Liebe, Wissensbegierde, Erlebniswert, entgegen alternativen Möglichkeiten der Nutzung der Lebenszeit allein, mit anderen Personen oder für andere Aktivitäten.

In Zeiten erhöhten Bewußtseins eines Infektionsrisikos kommt dieses zwangsläufig mit ins Kalkül; die Entscheidung hängt einerseits vom Wert der potentiellen Begegnung ab, andererseits von der Abschätzung des Risikos, angesteckt zu werden oder Überträger einer Gefahr zu sein. Ob diese Abwägung zu einem auch langfristig befriedigenden Ergebnis führen kann, hängt aber von umfassenden und seriösen Informationen ab, die den jeweiligen einzelnen zur Verfügung stehen. Solange es hier um Begegnungen im privaten Raum geht, ist die Sache insofern klar, als keine nichteinverständliche Begegnung stattfinden muß. Was aber passiert im sogenannten öffentlichen Raum?

Selbst ohne Verdachtsmomente, derer es in der gegenwärtigen „Corona-Krise“ genug gibt, steht Herrschaft daher grundsätzlich unter dem Druck, ihre lautere Absicht glaubhaft zu machen. Das ehrlichste Mittel dazu ist die Förderung eines sachlichen Diskurses.

Solange es öffentliche Räume und damit Regierungen gibt, gebietet die Ethik, den Würde begründenden Bereich des unveräußerlichen Selbsteigentums mit seinen Aspekten Leben, Gesundheit und Willensentscheidung zu respektieren und gleichzeitig Eingriffe in das veräußerliche Eigentum an Sachen und Rechten so gering wie möglich zu halten; denn eine Abwägung des Eigentums von A gegen die Gesundheit von B durch eine Entscheidung des C entbehrt, wie jede Herrschaft, der Freiwilligkeit und ist damit allenfalls relativ und vergleichsweise legitim, nämlich bezogen auf einen wohlmeinenden Herrscher und im Vergleich mit Thomas Hobbes’ „Krieg aller gegen alle“, welcher als notwendige Folge der Anarchie unterstellt wird: Historisch wie theoretisch steht es also um die Legitimität von Herrschaft mehr als fraglich.

Und das heißt? Selbst ohne konkrete Verdachtsmomente, derer es in der gegenwärtigen Corona-Krise genug gibt, steht Herrschaft daher grundsätzlich unter dem Druck, ihre lautere Absicht glaubhaft zu machen. Das ehrlichste Mittel dazu ist die Förderung eines sachlichen Diskurses aller Fachleute und Laien auf allen Ebenen, also von interdisziplinären fachlichen und politischen Foren mit dem Ziel der breiten Konsenssuche bis hin zur Förderung des freien Flusses von Informationen und Meinungen.

Es darf keine Sprachverwirrung geben über positiv getestet, infiziert, infektiös, krank, hospitalisiert, intensivbetreut bis todesursächlich; und es darf keine gezielte Intransparenz geben bezüglich der Aussagekraft verschiedener Testmethoden: Ein nicht justierter PCR-Test ist wie das Fieberthermometer im Kochtopf; und Analoges gilt für Todesfall-Erhebungen: positiv Getestete versus Infizierte versus Corona-kausal Verstorbene. Allenfalls zehn Prozent der Todesfälle mit positivem Test sind nach Angabe der Centers for Disease Control auch an Covid-19 verstorben, und je näher wir der Herdenimmunität kommen, desto geringer wird dieser Prozentsatz werden.

Das verwerflichste, aber kurzfristig offenbar probateste Mittel, die Legitimität vorgeblich notwendiger Eigentumseingriffe zu behaupten, ist das, was wir global erleben: Selbst jetzt wissen wir noch nicht, wie viele der positiv Getesteten tatsächlich infiziert sind, wie viele infektiös sind, noch weniger wird differenziert, wie viele der darauf bezogenen 0,23 Prozent der Todesfälle kausal am Virus gestorben sind und bei wie vielen lungenkranken „Corona-Toten“ noch andere Erreger nachweisbar gewesen wären – wenn man danach gesucht hätte. Obwohl es weltweit keinen einzigen Nachweis einer ernsthaften Erkrankung nach Ansteckung bei einem gesunden Corona-Virusträger gibt, wird der Ermöglichungsgrund des Wohlstands für bald acht Milliarden Menschen, die Sozialität und arbeitsteilige Kooperation, abgewürgt.

Und wir erfahren nichts über rationale Abwägungen zur Zieldefinition: Ist eine Eliminierung des Virus überhaupt möglich? Und falls ja, um welchen Preis? Kann die Herdenimmunität schnell und unter gezielter Schonung der Hochrisikogruppe alter und vorerkrankter Menschen erreicht werden? Denn nur fünf von 10.000 Testpositiven unter 70 sterben, aber zwölf von 100 über 75. Mit der ganz durchschnittlichen Opferzahl einer saisonalen Grippe wären wir damit schon sehr nah an einem realistischen Ziel.

Statt dessen serviert man uns selektive Informationen, große Zahlen und martialische Bilder, gern auch leichtfertig oder absichtlich aus dem kausalen und zeitlichen Zusammenhang gerissen, und kombiniert das mit moralisch kaschierter Wahl einer bestimmten Sichtweise und einer Unterdrückung aller als unmoralisch stigmatisierten, ergänzenden und alternativen Sichtweisen: Das ist Propaganda, die Petitessen wie beispielsweise die von der Uno geschätzten 130 Millionen zusätzlichen Hungertoten infolge der staatswirtschaftlichen Interventionen geflissentlich verschweigt und per Verwaltungsdekret das Selbsteigentum, gemeinhin individuelle Freiheitsrechte genannt, außer Kraft setzt.






Dr. med. dent. Peter J. Preusse, Jahrgang 1949, praktizierte bis 2017 als Zahnarzt. Er forscht und publiziert seit dreißig Jahren zur libertären Philosophie, Ethik und Verfassung. Seine jüngste Publikation: „Das sogenannte Gute“ (Lüdinghausen 2019).

Foto: Einer Seniorin wird in einem Pflegeheim ein Abstrich zum Durchführen eines PCR-Tests genommen, Ammerschweier, November 2020: Ist im Eigentumsartikel 14 Grundgesetz auch vom Eigentum an meinem Körper, meiner Zeit, meiner Gesundheit die Rede?