© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Ein Kaiser, der niemals stirbt
Vor 800 Jahren wurde der Staufer Friedrich II. in Rom zum Kaiser gekrönt / Er war ein Symbol für die Kraft und die Herrlichkeit des Reiches bis in die Neuzeit
Eberhard Straub

Gleich nach dem Tode Kaiser Friedrichs II. 1250 hieß es unter den Ghibellinen, den reichstreuen Italienern: vivit, et non vivit, er lebt und weilt dennoch nicht unter uns, weil entrückt in den Ätna, um wiederzukommen, wenn die Zeit reif ist für eine Erneuerung des Reiches und alter Kaiserherrlichkeit. Deutsche übernahmen diese verheißungsvolle Botschaft, versetzten aber den Kaiser erst in den Untersberg nahe bei Salzburg, dann in den Kyffhäuser, ihn alsbald mit seinem Großvater Barbarossa verwechselnd, der aus tiefem Schlaf erwachend einst alles heilen wird, was blöd, schwach und krank im Reich geworden. 

Andere hofften auf einen dritten Friedrich, der, auf Gerechtigkeit bedacht, wie sein Name es verspricht, Frieden und Eintracht stiftet. Mit Kaiser und Reich blieben große Erwartungen verbunden, gerade im ungelehrten Volk, das bei der Wahl Karls V. auf einen neuen Karl den Großen hoffte, da dessen Urgroßvater, Friedrich III., von vielen – übrigens zu Unrecht – als des Heiligen Reiches Erzschlafmütze geschmäht worden war.

Die staufischen Kaiser, die den Schwerpunkt des Reiches nach Italien verlagert hatten, dessen ideelle Hauptstadt das kaiserliche Rom war, wurden überhaupt nicht unpopulär, weil sie ihre Energien für Zwecke verschwendeten, die gar nichts mit deutschen Interessen zu tun gehabt hätten, wie nationalliberale Historiker seit Heinrich von Treitschke und Heinrich von Sybel immer wieder behaupteten. Die Salbung und Krönung Kaiser Friedrichs im Petersdom in Rom am 22. November 1220 war ein denkwürdiges, feierliches und wahrhaft imperiales Ereignis, bei dem der Kaiser, umgeben von Deutschen, Burgundern, Italienern und nun auch sizilianische Großen, veranschaulichte, wirklich Kaiser zu sein, Herrscher über mehrerer Königreiche, was die Ehre des Römischen Reiches  ausmachte. Diese war den Deutschen sehr wichtig. Sie hielten es für eine Auszeichnung, daß neben und nach den Griechen über Franken und Karl dem Großen das Imperium Romanum auf sie übergegangen war, von dem Sachsen und deutschen König Otto dem Großen glanzvoll und mächtig erneuert. Ihr Vorrecht, den Kaiser bestimmen zu dürfen, verlieh den deutschen Fürsten einen besonderen Rang.

Für die Kaiserkrönung Ottos des Großen 962 hatten deutsche Herren und Kleriker das Zeremoniell entworfen, das den heiligen Charakter des Kaisertums unmittelbar sinnfällig machte. Ein später Dichter, Franz Grillparzer, fand dafür die Formel, die er 1825 Rudolf von Habsburg in den Mund legte: „Was sterblich war, ich hab es ausgezogen, / Ich bin der Kaiser nur, der niemals stirbt.“ Vivit et non vivit: der Kaiser stirbt nicht, denn er lebt fort in seinem Nachfolger. Das Kaisertum ist als Einrichtung überzeitlich und überpersönlich. 

Friedrich II. war zum Kaiser gewählt worden, weil er der Abkömmling vieler Kaiser war, woran er häufig erinnerte. Der Sizilianer war deshalb vor allem Römer, das heißt Römischer Kaiser,  und nicht ein regulus, ein Klein- und Zaunkönig, wie Rainald von Dassel, der Kanzler seines Großvaters Friedrich Barbarossa, einmal die übrigen Könige hochmütig verspottet hatte. Reichsfürsten erblickten in diesem Sinne ihren Stolz darin, als Deutsche dem Reich verpflichtet zu sein, einem universalen Reich wie der römischen Kirche.

Glaube an eine Wiederkehr Kaiser Friedrichs II. 

Kaiser und Papst, die beiden römischen Weltmonarchen, wahrten bei der Krönung, was selten vorkam, ihre Eintracht. Der Idee nach sollten diese beiden Mächte möglichst immer miteinander verbunden bleiben, um das Narrenschiff der Welt vor Turbulenzen zu bewahren. Friedrich II. war bereit, der Kirche als seinem Gefährten zu geben, was ihr zustand oder dem allgemeinen Wohl diente. Aber alsbald wurde seine Regierungszeit zum heftigsten Drama zwischen Papst und Kaiser, das die Fundamente des Reiches erschütterte. 

Die römische Kirche, auf ihre Freiheit bedacht, mußte sich unweigerlich in immer gröbere Auseinandersetzungen mit dem Römischen Reich verstricken, weil kaiserlicher Macht in Italien ganz unmittelbar ausgeliefert. Sie bildete für sie eine Gefahr, gar nicht, weil die Kaiser Rom unterwerfen und überhaupt den Papst zu einer Art Reichsbischof machen wollten. Die meisten Kaiser waren durchaus daran interessiert, mit den Päpsten nicht in Konflikte zu geraten. Mißverständnisse und Zerwürfnisse waren vielmehr unvermeidlich, weil die Kaiser nicht anders als die Päpste auf ihre Eigenständigkeit und ihre Freiheit bedacht waren.

Sie verdankten, wie sie immer schroffer betonten, ihr römisches Kaiseramt und ihre Krone nicht den römischen Päpsten, sondern unmittelbar Gott, der sie zum Stellvertreter des Christus Imperator, des Weltherrschers, eingesetzt hatte. Die heilige Majestät des Kaisers und das Heilige Reich rückten die weltliche Einrichtung weit in die geistliche Sphäre und umgaben sie  mit einem göttlichen Schimmer und Geheimnis. Aber in der numinosen Macht des Heiligen drückte sich auch eindeutig der ganz weltliche Anspruch der Kaiser aus, vollkommen souverän und von keiner ihnen übergeordneten Macht abhängig zu sein. Die französischen Könige sprachen das deutlich aus, wenn sie ihre Souveränität und Majestät damit bestimmten, Kaiser in ihrem Königreich zu sein, keiner höheren Gewalt untertan, auch nicht dem Papst. Mit Kaiser und Papst war freilich ein unbestimmter Universalismus verbunden, der beide nie zu ruhigem Einverständnis kommen ließ.

Die Kaiser dachten nie an Vorherrschaft über die anderen Könige, es genügte ihnen, wenn ihnen ein Ehrenvorrang unter allen Monarchen zugestanden wurde, weil es ihr eigentümlicher Auftrag sei, Schutz und Schirm der Kirche und der Päpste zu sein. Kaiserlicher Schutz war aber gar nicht so harmlos, wie es heute klingt. Denn wer Schutz gewährte, durfte nach damaligen Verständnis von dem zu Schützenden Gehorsam und Ergebenheit verlangen. Dazu konnte sich der andere Stellvertreter Christi unter keinen Umständen bereitfinden. Eine Übereinstimmung der beiden vornehmsten Ämter war nahezu unmöglich. Friedrich II., anfänglich geduldig um Harmonie bemüht, hatte es mit den hartnäckigsten Päpsten zu tun, die darin einig waren, mit Stumpf und Stil diese staufische Drachenbrut, die als Söhne der Hölle das Reich Christi  um seinen Frieden brachte, vollständig zu vernichten.

Das ist den Päpsten gelungen, die mit fast antiker mythologischer Rachsucht die gesamte kaiserliche Familie allmählich ausrotteten. Übrigens waren alle Könige und Kaiser dieses ungewöhnlichen Herrschergeschlechts unter den Rittern ihrer Zeit wegen ihrer Liebenswürdigkeit und ungemeinen Eleganz berühmt, aber auch gefürchtet, wenn sie genötigt waren, jemanden die strafende Majestät des Reiches spüren zu lassen. Dann machten sich die immer lächelnden Kaiser schrecklich, um die Ehre und die Würde des Römischen Reiches zu wahren. Der Untergang dieses kaiserlichen Hauses bewirkte freilich nicht den Untergang des Reiches. Es war Rudolf von Habsburg, der ab 1273 auf den Trümmern des Reiches nach dem Interregnum eine neue Ordnung aufbaute, die immerhin bis 1806 dauerte und gar nicht das verächtliche Gebilde war, als das es Liberale und Antiklerikale nachträglich verunglimpften. Vom Römischen Reich und von den römischen Kaisern vermochten sich die Deutschen, aber auch die Italiener, gar nicht zu trennen.

Das Kaiserreich blieb eine Ordnungsmacht in Europa

Sie waren unersetzlich, um das diffuse Mitteleuropa zu ordnen. Keine europäische Macht kam je auf den Gedanken, das Kaisertum zu beseitigen und das Reich aufzulösen. Beide erwiesen sich als europäische Notwendigkeiten. Kaiserkrönungen durch den Papst hörten mit Karl V. auf. Kaiser war, wen die deutschen Kurfürsten wählten. Er war ein weltlicher Souverän geworden. Aber die sakrale Liturgie bei der Krönung – nun in Frankfurt am Main – blieb erhalten, und in beiden Kirchen wurde für Kaiser und Reich gebetet. Gerade die Kaiser und Könige aus der seit Karl V. spanisch-deutschen Casa de Austria hatten wie eh und je äußerste Schwierigkeiten mit den Päpsten, was nicht weiter verwunderlich war, weil von Sizilien bis Mailand Italien unter der gleichen Dynastie vereint war, nur daß jetzt bis zum Ende des 17. Jahrhunderts der spanische Weltmonarch und nicht der Römische Kaiser die ausschlaggebende Rolle spielte.

Unter den habsburgischen Kaisern seit Karl V. zerfiel das Römische Reich nicht, die Glaubensspaltungen und die Konfessionszwiste konnten den Zusammenhalt nicht gefährden. Ja, gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Türkenkriege zur gemeinsamen Aufgabe aller Deutschen. Der kaiserliche Reichsfeldherr, der italienische Prinz Eugen, der edle Ritter, blieb der einzige, unumstrittene Nationalheld der Deutschen. Kaiser und Reich wehrten in fast vierzigjährigen Kriegen seit 1672 eine französische Vorherrschaft erfolgreich ab. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg ab 1713 herrschte noch einmal ein Kaiser  – Karl VI. – von Sizilien bis Mailand über Italien, ein Kaiser, der die von Friedrich Barbarossa vorbereitete und von Friedrich II. vollzogene Union von Sizilien mit dem Reich wiederherstellte.

Ein Erbe der deutschen Kaiser seit Otto dem Großen und den Staufern ist die deutsch-italienische Schicksalsgemeinschaft, einzigartig in der europäischen Geschichte. Es gibt keine italienische Geschichte ohne Deutsche und keine deutsche ohne Italiener. Unter Karl VI. gab es noch einmal eine üppig entfaltete Reichs- und Kaiserherrlichkeit. Ihr schönstes Zeugnis ist der Kaisersaal in der Würzburger Residenz, wo von Giovanni Battista Tiepolo 1752 in Fresken mit festlicher Rhetorik Kaiser Friedrich Barbarossa und seine Kaiserin Beatrix von Burgund, der Genius der Liebe und des Römischen Reiches, gefeiert werden – ein Reich das von der göttlichen Wahrheit erhellt wird und im Glanze seines Glückes gewiß sein darf, von einem gnädigen Gott und allen guten Geistern behütet zu werden. Die Staufer und ihre Zeit waren nie vergessen worden.