© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Ohnmächte in Westafrika
Verwobene Schicksale im postkolonialen Guinea
Werner Olles

Anfang der 1960er Jahre begegnet ein junger Jounalist im westafrikanischen Conakry, der Hauptstadt Guineas, einem alten englischen Seemann, dessen Schiff, die „SS Britannia“ 1941, von einem Kreuzer der deutschen Kriegsmarine versenkt wurde. Der Alte erzählt ihm, wie die Mannschaft mitten auf dem Atlantik 23 Tage verzweifelt um ihr Leben kämpfte. Doch ist dies nur der eine Handlungsstrang des Romans „S.O.S. Britannia“ des von JF-Lesern als langjähriger Autor vertrauten Marc Zoellner. 

Der zweite Handlungsstrang führt den Journalisten ins Jahr 1961, als der brutale Diktator Ahmed Sékou Touré nach der Unabhängigkeit Guineas von der Kolonialmacht Frankreich die Macht ergreift. Der Panafrikanist und Kommunist sichert seine Herrschaft durch Unterdrückung, Repression, Folter und der Liquidierung politischer Dissidenten. Der Journalist gerät ungewollt in die Fänge dieses grausamen Regimes, in dem sogar die Tochter des Diktators mit allen Mitteln versucht, dem totalitären Reich ihres Vaters durch ihre Flucht ins Ausland endlich zu entkommen.

Zoellner versteht es meisterhaft diese beiden scheinbar so unterschiedlichen Handlungsstränge miteinander zu verweben und offenbart dabei eine große Kenntnis der Seefahrt und der Probleme der postkolonialistischen Regime Afrikas. So stellt sich schließlich heraus, daß zwischen der Versenkung des britischen Passagierschiffes „SS Britannia“, bei der 1941 von den insgesamt 484 Passagieren 249 ums Leben kamen, und 1961, als Sékou Tourés – genannt „Syli“ („großer Elefant“) – blutige Herrschaft über Guinea begann, gar kein so großer Unterschied besteht. 

Der Roman erlaubt keinerlei Zweifel an der schicksalhaften Ohnmacht des Menschen als Spielball der Ereignisse und vereinigt thematisch auf ungewöhnliche Weise individuelle, soziale und politische Belange, vergißt dabei jedoch nie die realistischen Aspekte des von ihm gewählten ästhetischen Rahmens zwischen Historie und Fiktion. Damit erweist er sich als schillernder, parabolischer und kontrastreicher Spiegel für hochexplosive, intensitätsgeladene gesellschaftliche Zustände, die aktuell auch uns betreffen und nachdenklich stimmen müssen.

Marc Zoellner: S.O.S. Britannia. Roman. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2020, gebunden, 128 Seiten, 18 Euro