© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Ein Urnengang weckt linksliberale Hoffungen
Bosnien und Herzegowina: Trotz erheblicher Einbußen bleibt die politische Macht den „nationalistischen“ Parteien vorbehalten
Hans-Jürgen Georgi

Obgleich es nur eine Kommunalwahl war, wurde in Europas linksliberalem Milieu schon von einer „kleinen Revolution“ oder „vom Beginn tektonischer Veränderungen der politischen Szene“ in Bosnien und Herzegowina (BiH) gesprochen. Gemeint ist die Erschütterung der Macht der „nationalistischen“ Parteien, die später zur Übernahme der Macht durch „bürgerliche“ Parteien führen soll. 

Als „nationalistisch“ werden vor allem die drei Parteien ausgemacht, die die drei nationalen Gruppen der Bosniaken (Muslime), der Serben (Orthodoxen) und Kroaten (Katholiken) vertreten. Es sind die SDA, die SNSD und die HDZ BiH. Und in der Tat ist die Partei der Muslime, die Partei der Demokratischen Aktion (SDA) durch diese Wahl politisch in Mitleidenschaft gezogen worden. 

In der Hauptstadt Sarajevo und den Vororten mußte sie drei Bürgermeisterposten an verschiedene Oppositionsparteien abgeben, die sich in der Vierer-Koalition „Cetvorka“ zusammengeschlossen hatten. Sie werden als „bürgerliche Parteien“ betrachtet, weil sich ihre Mitglied- und Wählerschaft aus den verschiedenen Ethnien zusammensetzt, wie bei der Sozialdemokratischen Partei (SDP BiH), die im gesamten Staatsgebiet vertreten ist und sich für die Bildung und Stärkung gesamtstaatlicher Institutionen einsetzt. 

Korruption und Nepotismus sind Themen, die die Wähler in den großen Städten mobilisieren. Daß die SDA, die seit 30 Jahren alle Ebenen der Macht bespielt, drei Korruptionsaffären allein während des Wahlkampfes zu bewältigen hatte, kostete sie viel Sympathie. Die Bürgermeister aber stellt sie immer noch in 23 von 50 Gemeinden mit bosniakischer Bevölkerungsmehrheit. 

Die von der Flüchtlingskrise geplagte Stadt Bihac wählte ihren bisherigen Bürgermeister Šuhret Fazlic wieder, der inzwischen eine eigene Partei gegründet hat. In der Nachbargemeinde Velika Kladuša ist der sehr erfolgreiche Geschäftsmann aus jugoslawischer Zeit und verurteilte Kriesgverbrecher Fikret Abdic wiedergewählt worden. 

Angeschlagen, wenn auch nicht in dem Maße wie Izetbegovic, ist der Chef der führenden Partei in der Republika Srpska (RS), des Bundes unabhängiger Sozialdemokraten (SNSD), Milorad Dodik. Er ist gleichzeitig Mitglied des BiH-Präsidiums, der höchsten politischen Institution des Gesamtstaates, in der die drei konstituierenden Nationen mit je einem Sitz vertreten sind.  

Die eigentlichen Gewinner dieser Wahl sind die bosnischen Kroaten und ihre größte Partei, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ BiH). Ihr gelang es, in 20 von 24 Gemeinden mit kroatischer Bevölkerungsmehrheit die Bürgermeister zu stellen. 

Daß die kroatische Bevölkerung in BiH so fest hinter ihrer „nationalistischen“ Partei steht, hängt mit der Behauptung ihres Platzes als konstitutive Nation in BiH zusammen. Seit Jahren fordert sie ein Wahlgesetz, das ihr garantiert, daß nur die Vertreter in die parlamentarischen Institutionen gewählt werden können, die sie als Vertreter ihrer kroatischen Interessen betrachtet. 

Daß die Macht der „nationalistischen“ Muslimpartei SDA trotz der Niederlage nicht gebrochen ist, zeigt auch ein Treffen des EU-Beauftragen Johann Sattler und des US-Botschafters Eric Nelson nach der Wahl. Sie besprachen die „vitalen Bedürfnisse“ des Landes nicht etwa mit den Siegern der Wahlen, sondern sich mit dem Vorsitzenden der SDA, Bakir Izetbegovic – in der Parteizentrale der SDA.