© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

„Wir sind fassungslos“
Autoindustrie: Nach Corona droht die neue Euro-7-Abgasnorm / Zerschlagung der Motorenfertigung?
Paul Leonhard

China kommt mit der Corona-Pandemie gut zurecht: Im Oktober stiegen die Absatzzahlen für Neuwagen auf zwei Millionen. Das waren neun Prozent mehr als 2019. In den ersten zehn Monaten des Jahres wurden 15,2 Millionen verkauft – nur zehn Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In der EU hat die Autoindustrie einen schweren Stand: Im Oktober wurden nur 953.600 neue Pkws verkauft. Aufs Jahr gerechnet brach der Absatz um 26,8 Prozent auf acht Millionen Autos ein.

Das gefährdet die Arbeitsplätze von drei Millionen Beschäftigten in der EU – 936.000 dieser gut bezahlten Stellen befinden sich in Deutschland. Insofern sind die auf dem Autogipfel versprochenen zusätzlichen drei Milliarden Euro das mindeste, was zu erwarten war. Allerdings: Das Geld fließt nur für jene, die sich brav an die Vorgaben der Bundesregierung in Richtung E-Mobilität halten.

Keine Diskussion über alternative Fertigung

Die Daimler-Aktien kletterten um 1,9 Prozent, aber aus einem anderen Grund: Künftige Benzinmotoren werden bei der Volvo-Mutter Geely in China gebaut. „Unsere deutschen Werke werden wir sukzessive auf Elektro umstellen“, erklärte ein Daimler-Sprecher im Handelsblatt. „Wir sind fassungslos. Nicht einmal Diskussionen über alternative Fertigungsstandorte waren möglich“, klagte Daimler-Betriebsratschef Michael Häberle. Doch anders als Kuwait (6,8 Prozent der Daimler-Aktien) wollen die chinesischen Großinvestoren (14,7 Prozent) nicht nur Dividenden abfassen.

Auch die „Abwrackprämie 2.0“ fließt nur für teure E-Autos und Plug-in-Hybride (JF 44/20). Cem Özdemir, Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, geht sogar noch weiter: Im Deutschlandfunk verlangte der Grünen-Abgeordnete des Wahlkreises Stuttgart I, die Auszahlung der Kaufprämie „an den Nachweis zu koppeln, daß bei der ersten Hauptuntersuchung das Fahrzeug überwiegend elektrisch gefahren wurde“.

Das ist keine grüne Marotte: Seit Januar ist bei neuen Automodellen in der EU ein „On-Board Fuel Consumption Meter“ (OBFCM) Pflicht. Dieses Verbrauchsmeßgerät läßt sich von TÜV-Ingenieuren einfach auslesen. Über die seit 2018 obligatorische SIM-Karte im Auto (ursprünglich nur für den „eCall“-Notruf bei einem Unfall gedacht; JF 35/19) können die OBFCM-Daten theoretisch automatisiert an Behörden übermittelt werden. Bei Tesla und großen Mietwagenfirmen ist die Dauerüberwachung schon Standard.

So weit wagte sich der Autogipfel nicht vor. Doch Plug-in-Hybride werden ab 2022 nur subventioniert, wenn sie eine elektrische Reichweite von 60, ab 2025 von 80 Kilometern haben. Die EU-Kommission werkelt zudem an einer neuen Euro-7-Abgasnorm, die ab 2025 gelten soll. Die Stickoxidemissionen sollen abermals sinken. Bei Benzinern müsse die Rußpartikelanzahl und -masse weiter reduziert werden. „Die Kommission will vorschreiben, daß künftig ein Fahrzeug in jeder Fahrsituation quasi emissionsfrei bleiben muß – sei es mit Anhänger am Berg oder im langsamen Stadtverkehr. Das ist technisch unmöglich, und das wissen auch alle“, kritisierte Hildegard Müller, einst Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und seit Februar Präsidentin des Autoindustrieverbands VDA. „Würde diese Euro-7-Vorgabe Realität, dürften in fünf oder sechs Jahren keine konventionellen Motoren mehr produziert werden“, warnt der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper. „Das wäre eine Zerschlagung auch der Motoren- und Komponentenindustrie“, und zwar ohne Mehrwert für die Natur. E-Autos hätten eine schlechtere CO2-Bilanz als die modernsten Dieselfahrzeuge, doch diese Sicht ist nur in der AfD mehrheitsfähig.

Brandbeschleuniger einer stattfindenden Veränderung

BMW verkündet daher in vorauseilendem Gehorsam das, was deutsche Regierungspolitiker gerne hören: Die „Elektrifizierungsstrategie“ werde konsequent umgesetzt, erklärte Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic. „Bis Ende 2022 wird jedes unserer deutschen Werke mindestens ein vollelektrisches Fahrzeug produzieren.“ Die Benzin- und Dieselmotorenfertigung werde nach Österreich und Großbritannien verlegt. Betroffen sind 1.400 Autobauer. Die renditestarken SUV (X3 bis X7) laufen ohnehin in Spartanburg (South Carolina) vom Band. Für die BMW 3er Reihe gibt es seit seit 2019 ein neues Werk in San Luis Potosí (Mexiko).

Welche Modelle im künftigen BMW-Werk in Debrecen gefertigt werden, ist noch nicht bekannt. Audi fertigt derzeit den A3, den TT und den Q3 in Raab (Gyor). Mercedes baut die A-und CLA-Klasse in Kecskemét südlich von Budapest. Die großen SUV GLE und GLS laufen in Tuscaloosa (Alabama) vom Band. Mit der deutschen Motorenproduktion ging es aber schon vor Corona bergab. Im November 2019 meldeten die Gußwerke Saarbrücken, eine von drei großen Motorblockgießereien mit 1.200 Mitarbeitern Insolvenz an. Auch der Standort Leipzig ist davon betroffen. „Corona wirkte wie ein Brandbeschleuniger auf die ohnehin stattfindende Veränderung hin zu mehr Elektronik und der Elektrifizierung der Fahrzeuge“, konstatiert Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Auf der Strecke würden spezialisierte Zulieferer bleiben, denen auch Absatzhilfen nicht helfen, weil sie im Gegensatz zu den Herstellern und großen Zulieferern nicht Arbeitsbereiche umschichten und einfach von konventionellen auf E-Antriebe umstellen können. Wegen des Margendrucks der Konzerne konnten sie auch kaum Rücklagen bilden.

Strittig auf dem Autogipfel war, ob 1,2 Milliarden Euro für den Kauf von Euro-6-Lkws bereitgestellt werden. Denn Speditionen, die sich tatsächlich von älteren Fahrzeugen trennen, müssen weiterhin auf den Diesel setzen. Erdgas ist ein Nischenprodukt, Wasserstoffantriebe sind längst nicht serienreif. Von Januar bis Oktober wurden in Deutschland 2,3 Millionen Pkw neu zugelassen – davon waren nur 121.500 E-Autos. Und sollten es künftig mehr als diese 5,2 Prozent E-Anteil werden, fehlten die nötigen Ladesäulen. Gäbe es diese, stellt sich das Problem der Stromnetzstabilität beim „Schnelladen“.

Da EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nur an ihren „Green Deal“ denkt, kommen Hoffnungssignale vom französischen Binnenmarktkommissar Thierry Breton: Der Euro-7-Vorschlag werde „sowohl ehrgeizig als auch realistisch sein“. Ziel sei, daß „Autos, die auf den Markt kommen, so sauber wie möglich sind – einschließlich Diesel-Motoren“. Denn von Bundesumweltministerin Svennja Schulze (SPD) ist kein Einsatz für deutsche Verbrennungsmotoren zu erwarten.

Branchenstudie „Eine Branche unter Druck – Die Bedeutung der Autoindustrie für Deutschland“ (IW Report 43/20):

 www.iwkoeln.de

 Kommentar Seite 2





Deutscher Autoabsatz

Audi, BMW, Mercedes und VW produzierten 2019 weltweit über 16 Millionen Pkw. Im Jahr 2005 waren es nur 9,5 Millionen gewesen. „Die Produktion am Standort Deutschland schwankte hingegen zwischen 2005 und 2018 um einen Wert von etwas mehr als fünf Millionen Einheiten und ging dann 2019 auf knapp 4,7 Millionen zurück“, heißt es im IW-Report (43/20). Damit habe sich die Produktion „signifikant besser entwickelt als beispielsweise in Frankreich, wo die Pkw-Produktion seit 2005 um gut 46 Prozent zurückging“. 62 Prozent (2,15 Millionen Stück) der deutschen Pkw-Exporte gingen 2019 nach Europa. Der wichtigste Einzelexportmarkt ist mit Abstand Großbritannien (592.566 Autos). „Der in Köln gefertigte Ford Fiesta ist dort das meistverkaufte Fahrzeug“, so IW-Experte Thomas Puls. Doch das Vereinigte Königreich ist wegen des Brexit und Corona zweifach unter Druck. Zweitgrößter Pkw-Exportmarkt waren die USA (417.525). Erst mit großem Abstand folgt China (267.537), denn dort wird durchgesetzt, was Donald Trump vergeblich forderte: die überwiegende Produktion im eigenen Land.  (fis)