© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Ich bin immer etwas unentschieden, ob ich Vilfredo Paretos Einsicht, daß unsere Auffassungen das Ergebnis von tiefverankerten und nur ausnahmsweise rational begründbaren Präferenzen – „Residuen“ – und allem möglichen scheinlogischen Schnickschnack zu deren Rechtfertigung – „Derivationen“ – sind, eher deprimierend oder tröstlich finden soll.

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Entscheidung bedeutet Scheidung.

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„Heute trifft man in weiter Verbreitung die Illusion, daß es nur eine Moral gäbe, die humanitaristische. Diesen Luxus können sich nur politisch ohnmächtige Gesellschaften leisten. Überhaupt sind unsere Vorstellungen von Moral zu sehr soziologisiert, die Gesellschaft ist dem Handeln des einzelnen gar nicht zugänglich, und sie sind zu gefühlsbetont und affektorientiert. Wenn das Gesagte neu ist, obzwar es sich um längst gestellte Fragen handelt, dann deswegen, weil die sogenannte öffentliche Meinung heute große Mengen von Verschlußsachen hütet, und weil auf der anderen, privaten Seite das Schweigen um sich greift.“ (Arnold Gehlen, 1975)

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„Shopping ist für mich Medizin.“ (Elisa, 34)

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Die Wissenschaftsministerin hat vorgeschlagen, Lehrer gegen die Drangsalierung durch muslimische Schüler und Eltern zu verteidigen. Das hat etwas Rührendes, angesichts der Konsequenz, mit der in Schulleitungen und -verwaltungen über Jahrzehnte allem, was noch stand, das Mark aus den Knochen geblasen wurde. Schwer vorstellbar, wer sich da noch mit genug Diensteifer, Konfliktbereitschaft, Durchsetzungsvermögen und Autorität finden wird, um einer aggressiven und Schwäche jederzeit witternden Klientel entgegenzustellen. Aussichtsreicher war vielleicht der Ansatz eines niedersächsischen Kultusministers, der schon vor Zeiten an einer bunten Brennpunktschule einen Mann mit Migrationshintergrund und Kampfkunstqualitäten als Verantwortlichen eingesetzt hat.

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Es gibt im Gefolge der antikolonialistischen Machtübernahme an den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten Großbritanniens die immer lauter werdende Forderung, endlich dem „schwarzen“ Beitrag zur Nationalgeschichte Respekt zu zollen. In dem Buch „100 Great Black Britons“ hat man nun jene zusammengestellt, die einen maßgeblichen Teil geleistet haben. Eine erste Blütenlese ergab: ein Hoftrompeter der Tudors, eine Kämpferin und ein Kämpfer gegen Sklaverei, ein Kämpfer und eine Kämpferin für die Gleichberechtigung der Farbigen, eine Feministin. Den auch in diesem Zusammenhang aufgeführten Septimius Severus – voller Stolz als „Kriegerkaiser“ präsentiert – mag man allerdings nicht recht gelten lassen. Er war zwar ein tatkräftiger Herrscher, wurde in Britannien als Befreier von der Gallier- und Germanengefahr bejubelt, festigte den Hadrianswall gegen die Barbaren im Norden und starb schließlich in York, aber mit seiner Schwärze ist es nichts. Denn Septimius Severus war zwar in Leptis Magna, auf dem Boden des heutigen Libyen, geboren, für seine gelegentlich behauptete subsaharische Herkunft gibt es allerdings keinen Anhalt. So gehörte er offenbar zu jenen „Afrikanern“, die den Norden des Kontinents besiedelten, bevor der große Austausch in Folge der „Arabischen Wanderung“ stattfand.

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„Ruhe zieht das Leben an.“ (Gottfried Keller)

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Es müßte bei Filmen mit historischem Thema Maskenbildner geben, die darauf achten, den Darstellern die Zähne zu gelben.

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Die Auseinandersetzung im Stadtrat von Bergen bei Celle um die Art und Weise, wie von der Wehrmacht gesprochen und mithin der Dienst ihrer Soldaten bewertet werden soll, ist mehr als eine Provinzposse. Da geht es durchaus um grundsätzliche Fragen, vor allem die der „deutschen Schuld“, der „Schuld der Deutschen“, der „Schuld Deutschlands“ etc. Daß sich diesbezüglich eine „Diskursverschiebung“ (Jens-Christian Wagner) ergeben habe in Richtung auf Entlastung oder einen Freispruch, ist nichts als ein Schreckgespenst linker Geschichtspolitik. Tatsächlich wird man feststellen müssen, daß heute hierzulande über die Wehrmacht und ihre Soldaten schärfer geurteilt wird, als vor 75 Jahren durch das Nürnberger Tribunal der Siegermächte. Das heißt, wenn noch einmal gerichtlich zu klären wäre, ob die Wehrmacht als „verbrecherische Organisation“ zu betrachten sei, gäbe es aus der Sicht der tonangebenden Kreise nur eine denkbare Antwort: „Ja.“

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Sollte der Publizist Michael Klonovsky mit seiner Kandidatur für den Bundestag erfolgreich sein, was man dem Hohen Haus nur wünschen kann, dürfte das zumindest zweierlei Folgen haben: 1. Der Intelligenzdurchschnitt der Parlamentarier stiege erkennbar; 2. Ansprachen und Debatten könnten zu einem geistreichen Vergnügen werden.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 11. Dezember in der JF-Ausgabe 51/20.