© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

„Gesegnet sei die Frucht!“
Fernsehen: Die auf Tele 5 ausgestrahlte Serie „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“ zeigt die USA als Klerikaldiktatur. Was steckt dahinter?
Dietmar Mehrens

Auch in diesem Herbst waren sie nicht zu übersehen: die großflächigen Porträts von Hauptdarstellerin Elisabeth Moss mit züchtiger Nonnenhaube, ergänzt um einen Schriftzug, der in dicken Buchstaben versprach: „Sie ist zurück!“ Die zweite Staffel des Emmy- und Golden-Globe-gekrönten Dystopie-Dramas „The Handmaid’s Tale“ lief im November auf Tele 5.

In der Fernsehbearbeitung des gleichnamigen Romans von Margaret Atwood gibt es Geknechtete und Mägde, was schon rein sprachlich auf ein Unterdrückungssystem verweist. Die Unterdrücker sind dekadente Reiche, die keine Kinder mehr bekommen können. Eine depravierte Gesellschaft, deren neurotischer Hedonismus zu einem selbstzerstörerischen Übergewicht unproduktiver Beziehungen geführt hat, soll unter ihrer Führung durch eine vital-klerikale abgelöst werden. Die Mägde müssen’s richten: Sie werden, was durchaus wörtlich zu verstehen ist, eingefangen, in einen Orden gesteckt und, so ihrer Freiheitsrechte beraubt, von den Angehörigen der Führungskaste sexuell ausgebeutet. Eine Art Fortschreibung, wenn man so will, der von Roman Polanski, Dominique Strauss-Kahn und Harvey Weinstein begonnenen Geschichte, in der Überprivilegierte sich vergingen an Frauen, die sie als Dienstmägde auffaßten.

Unzucht ist ein für allemal ausgemerzt

Bigotte Bösewichte haben so auf dem Boden der heutigen Vereinigten Staaten das Reich Gilead errichtet, eine faschistoid-frauenfeindliche Diktatur mit reaktionär-klerikalem Anstrich, in der Frauen nicht mehr ihren Mann stehen, sondern wieder in den Kreißsaal zurückbeordert sind. Homosexuelle gelten als „Geschlechtsverräter“. Sie landen im Arbeitslager oder als Gehenkte am nächsten Baum. Gilead soll ein neues, gesäubertes Gemeinwesen sein, in dem Unzucht ein für allemal ausgemerzt und Frauen wieder ihrer biologischen Bestimmung zugeführt sind – der Alptraum jeder Feministin. So, als Warnung vor einem Tyrannopatriarchat, war wohl auch der 1985 veröffentlichte Roman der Kanadierin zu verstehen, den Volker Schlöndorff 1990 bereits als „Die Geschichte der Dienerin“ verfilmt hatte. Damals freilich gab es noch keinen Tarabella-Bericht über die Gleichstellung von Frauen und Männern, Frauen waren nicht in der gesamten westlichen Hemisphäre in ihre universellen „reproduktiven“ und sonstigen Rechte eingesetzt, und als Grundbedingung für eine Eheschließung galt weltweit das komplementäre Mann-Frau-Prinzip.

Machtergreifung klerikaler Ökofundamentalisten

Bruce Miller und seinen Co-Autoren muß bei der Adaption des Romans als TV-Serie klar gewesen sein, daß man sich schnell lächerlich machen kann, wenn man an Atwoods platter Frauenrechts-Polemik undifferenziert festhält. Aus der Not mangelnder Plausibilität hat Miller die Tugend der Vieldeutigkeit bei der Darstellung des repressiven Staatsgebildes gemacht, der der Filmreihe als Kulisse dient. Schon in der sechsten Folge der ersten Staffel enthüllten kurze Andeutungen, daß Gilead eine ökofaschistische Diktatur ist, voll anschlußfähig an das Weltbild der frühen Grünen oder aktuell an die radikalen Ränder der Klimaaktivisten.

Beim Besuch einer Handelsdelegation aus Mexiko erklärt Fred Waterford (Joseph Fiennes), der Dienstherr der versklavten Protagonistin June Osborne (Elisabeth Moss), daß man in Gilead „zu einem vollständig biologischen Landwirtschaftsmodell übergegangen“ sei. Und seine Frau Serena (Yvonne Strahovski) ergänzt, daß es sich bei der von ihr und ihrem Mann vertretenen Oligarchie um eine Gesellschaft handelt, „die in drei Jahren ihren CO2-Ausstoß um 78 Prozent gesenkt hat“. In Staffel zwei sieht man Mägde bei der Zwangsarbeit auf verseuchten Äckern. Fromme Sprüche müssen sie hier nicht mehr klopfen, nur Steine. Das Ziel: eine Erde zu errichten, „wo die Saat nicht zwischen Dornen aufgeht“.

Die 13 Teile, die der Münchner Provatsender Tele 5 an den drei vergangenen Wochenenden auf sein Publikum einprasseln ließ, entstanden auf dem Höhepunkt der Trump-Ära. Miller und seine Produktionsmannschaft spannen die nach der ersten Staffel im wesentlichen auserzählte Romanhandlung weiter. Das Gefühl jedoch, daß die Geschichte sich endlos in die Länge zieht wie ein Kaugummi, der einfach nicht abreißen will, ist geblieben: Nur scheinbar gelingt June, die nach ihrem „Kommandanten“ Fred Desfred genannt wird, mit Hilfe der Widerstandsbewegung Mayday die Flucht. Die inzwischen Schwangere wartet anschließend gemeinsam mit Fred, Serena und dem Zuschauer von Episode zu Episode auf die Niederkunft. Die ganze Angelegenheit geht so zäh voran, daß die Rückblenden in die Zeit vor der Machtergreifung der klerikalen Ökofundamentalisten das eigentliche Salz in der Suppe sind. Der Umsturz selbst wird nur angedeutet. 

Meinungslenkung und Massenmanipulation

Miller ist versiert genug, auch Trump-Anhängern ein paar Häppchen hinzuwerfen und ihnen damit – in klarer Emanzipation von der feministischen Vorlage – Appetit auf den Serienkonsum zu machen. Schließlich sind rund hundert Millionen US-Bürger keine zu vernachlässigende Größe. Der Zuschauer lernt Junes Mutter kennen, eine radikale Feministin, die die traditionelle Familie für ein Relikt von vorgestern hält und deren Selbstgerechtigkeit auch für politisch neutrale Zuschauer nur schwer zu ertragen ist. Er erfährt, daß June und ihr späterer Mann Luke Ehebrecher sind. Er wird mit dem Thema Leihmutterschaft als hochproblematischem Aspekt der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft konfrontiert und bekommt die Chance, westliche Universitäten als Brutstätten der Dekadenz zu identifizieren: Alle Hochschullehrer, die einem in Staffel 2, Folge 2 begegnen, sind homosexuell.

Die schärfste Attacke gegen den linken Mainstream (der hier auch genauso genannt wird), reitet Miller jedoch in Episode 6: Serena, in der ersten Staffel noch als pathologisch kaltherzige Patrizierhexe vorgeführt, entpuppt sich darin als Opfer dessen, was inzwischen auch hierzulande als „Cancel Culture“ traurige Berühmtheit erlangt hat: Als sie und Fred auf einer Diskussionsveranstaltung wegen der rapide sinkenden Zahl Gesundgeborener für einen Kurswechsel in der Familienpolitik werben möchten, wird Serena von einem aufgepeitschten Mob erst als „Nazi-Schlampe“ niedergebrüllt und dann niedergeschossen. Die Kugel trifft Serena im Unterleib.

Auch die totalitären Neusprech-Regelungen, die einem in der Serie auf Schritt und Tritt begegnen, beginnen in unserer Gegenwart jäh zu funkeln, sobald man sie in Beziehung setzt zu den perfiden post-christlichen Begriffsschöpfungen der zeitgenössischen Ersatzreligionen. Wenn religiöse Floskeln und Grußformeln wie „Gesegnet sei die Frucht“ oder „Gepriesen sei der Tag“ unter gesellschaftlichem Druck reflexhaft nachgesprochen werden, sind die Parallelen zur sprachlichen Übergriffigkeit von Geschlechtsrevisionisten und fanatisierten Sprachpurifizierern augenfällig.

Framing-Schlachtrufen wie „Homophobie“, „Vielfalt“, „Weltoffenheit und Toleranz“ oder dem neuerdings auch gesprochenen „Gender-Sternchen“ reißt das, was June alias Desfred widerfährt, die Tarnkappe vom Kopf, und sie stehen auf einmal als das vor uns, was sie sind: Elemente der Meinungslenkung und Massenmanipulation, die Affirmationszwang ausüben wollen.

Mit einigem Recht ist es also eine von außen normal erscheinende, aber innerlich vom Wurmfraß der Dekadenz ausgehöhlte Zivilisation – und nicht die ferne Utopie eines erstarkenden klerikalen Fundamentalismus, in den sie führt –, was die TV-Serie, Atwoods Vorlage transzendierend, uns als Spiegel entgegenhält. Allein die Tatsache, daß Menschen, die es für die biologische Bestimmung der Frau halten, Kinder zu bekommen, in der Serie regelmäßig zu Wort kommen, macht Millers „Magd“-Interpretation, allen dramaturgischen Schwächen zum Trotz, zu einem ebenso brisanten wie provokanten Diskursbeitrag. Denn das ist mehr, als einem in den Redaktionsstuben deutscher Leitmedien zugestanden wird.

Alle Folgen sind auf dem kostenfreien Streamingdienst 5-Flix abrufbar.

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