© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Grenzen dicht und Quarantäne
Preußische Erfahrungen bei der Bekämpfung der Cholera-Epidemie von 1831
Jürgen W. Schmidt

Zu den gefürchtetsten Krankheiten im 19. Jahrhundert gehörte die Cholera, welche nach kurzer, meist nur wenige Stunden dauernder Ansteckungszeit oft tödlich verlief. Heute könnte man diese durch Bakterien hervorgerufene Infektionskrankheit mit Antibiotika rasch bekämpfen. Erst durch Errichtung von Kanalisations- und Wasserreinigungsanlagen in Deutschland zum Ende des 19. Jahrhunderts entzog man der Krankheit endgültig die Basis. 

Die Cholera wurde bereits in antiken Quellen beschrieben, aber trat viele Jahrhunderte lang nur in Asien, vor allem in Indien, auf. Aus unbekannten Gründen näherte sich die Cholera zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf dem Landwege Europa. 1823 erreichte die Cholera Astrachan am Kaspischen Meer und im zaristischen Rußland begannen sich erstmals europäische Ärzte mit der Bekämpfung einer drohenden Massenseuche wissenschaftlich zu befassen. Doch ein strenger Winter brachte die Seuche unerwartet zum Abklingen. 

Drei Jahre später brach die Seuche erneut in Asien aus und erreichte nun sukzessive zuerst Rußland, danach Ost- und später Zentral- und Westeuropa. Da man den eigentlichen Erreger der Krankheit, das Bakterium Vibrio cholerae, damals noch nicht kannte, kursierten die verschiedensten Theorien über die Cholera. Man nahm an, sie werde durch direkten Kontakt mit Kranken übertragen (Kontagienlehre) oder aber durch „schlechte Luft“ (Miasmentheorie). Andere Ärzte glaubten daran, daß der Säuregehalt der Magensäure Einfluß auf einen mortalen Krankheitsverlaus besitze. Letztlich waren die Mediziner hilflos und Scharlatane boten in Preußen „heilende Schnäpse“ an, woher das Lied „Juppheidi und Juppheida – Schnaps ist gut für die Cholera“ stammt. 

Als sich die Erkrankung dem größten deutschen Staat, dem Königreich Preußen, von Osten her immer mehr näherte, griff man zu dem bereits bei Tierseuchen erprobten Mittel der „Quarantäne“. Man verlegte in großem Umfang Truppen an die preußische Ostgrenze zu Rußland und Russisch-Polen, welche jedwedes Überschreiten der Grenze, notfalls durch Androhung von Waffengebrauch, zu verhindern hatten. 

Ebenso griff man in preußischen Ostseehäfen zum Mittel der Quarantäne für einlaufende Schiffe. Weil man keinerlei Vorstellungen davon hatte, daß mit Cholerabakterien verunreinigtes Wasser ursächlich für die Seuchenübertragung ist, halfen diese Maßnahmen nicht. In Hafenstädten wie Königsberg und Danzig kam es zu ersten Choleraausbrüchen, ebenso in den preußischen Provinzen West- und Ostpreußen, Schlesien und Posen. Am 23. August 1831 verstarb der Oberbefehlshaber der Quarantäneabsperrtruppen, der aus den Befreiungskriegen bekannte Feldmarschall Neidhardt von Gneisenau, in Posen an der Cholera. Ihm folgte am 16. November 1831 in Breslau sein Stabschef, der namhafte Militärtheoretiker Carl von Clausewitz. Mittlerweile hatte die Seuche auch Berlin erreicht, wo ihr beispielsweise am 14. November 1831 der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel erlag. 

Angesichts dieser Gefahr gaben die preußischen Verwaltungsbehörden allenthalben gedruckte Richtlinien und medizinische Ratgeber heraus, in denen praktische Erfahrungen bei der Bekämpfung der Cholera weitergegeben wurden. Für die preußische Provinz Sachsen lautete der Titel der 24seitigen Schrift „Anweisung zu Erkenntnis, Verhütung und thätigen Hülfsleistung in Betreff der asiatischen Cjholera für Prediger, Schullehrer, Amtleute und Dorfvorsteher“ (Magdeburg 1831). Man bereitete sich in den noch nicht von der Cholera befallenen Landesteilen langfristig auf den Anfall großer Mengen Kranker vor. 

Quarantänemaßnahmen hatten schließlich Erfolg

Die Stadt Erfurt war damals ein Musterfall dafür, daß man rechtzeitig am Rand der Stadt luftige und reinliche Gebäude für Cholerakranke auswählte, welche im Erkrankungsfall sofort aus der Stadt zu entfernen waren. Gleichzeitig rekrutierte man eine größere Anzahl an medizinischem, an Pflege- und Hilfspersonal, und man griff dabei immer auf die Kapazitäten des preußischen Militärs zurück. Die schnelle Isolation der Kranken, nebst ihrer sorgfältigen Behandlung und Ernährung trug dazu bei, daß die Seuche nicht so verheerend wie im östlichen Preußen oder in Rußland zum Tragen kam. 

Gleichzeitig bildeten sich noch vor Ausbruch der Seuche allerorten Bürgerkomitees, welche den Verwaltungsbehörden tätige, auch finanzielle Hilfe bei der Seuchenbekämpfung anboten. Schließlich sorgte man dafür, den Reiseverkehr und den Warentransport, welche man für die Weiterverbreitung der Seuche verantwortlich machte, einzuschränken. So verbot die Stadt Nordhausen den regulären Verkehr von Postkutschen innerhalb der Stadt und verlegte die Haltestelle an den Stadtrand. Immerhin klang zum Jahresende 1831 die Seuche in Preußen wieder ab, flackerte noch mal im Gefolge des Krieges von 1866 auf und hat heute ihren Schrecken verloren. 

Der Regierung unter Angela Merkel wäre sehr zu raten, aus den preußischen Erfahrungen zu lernen. So beobachtete man in Preußen bereits Jahre vorher angespannt den Seuchenzug der Cholera Richtung Preußen. Unter Leitung von Verwaltungsbeamten, Medizinern und Predigern bereitete man sich aktiv auf den Seuchenausbruch und die Isolierung der Kranken vor. Auch überließ man in Preußen den Beamten vor Ort die Initiative, die regional passendsten Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung zu finden, während in der Bundesrepublik die Absicht zu zentral gesteuerten Initiativen vorherrscht. Einen wirtschaftlichen „Lockdown“ gab es in Preußen nie, denn man nahm an, daß es einerlei sei, ob die Bevölkerung an der Cholera stirbt oder wegen der Stockung im Wirtschaftsleben verhungert.