© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

„Schützt die Sorben“
Einer Kultur das Wasser abgraben
Oliver Busch

Im Auftrag der preußischen Regierung wurden zu Beginn der 1860er Jahre Pläne entwickelt, um die im Spreewald regelmäßig auftretenden Hochwasser ein für allemal unter Kontrolle zu bekommen. Da aber der Staat während der Einigungskriege finanziell anderweitig stark engagiert war, scheiterte das Projekt. Erst 1879 nahm man mit dem Gesetz zur Bildung von Wassergenossenschaften einen zweiten Anlauf, um das sich zur „Gemüsekammer“ Berlins und ganz Deutschlands entwickelnde Niederungsgebiet zu entwässern.

Dagegen formierte sich an zwei Fronten Widerstand. Zum einen weigerten sich die Spreewälder in Burg, eine Wassergenossenschaft zu bilden, weil sie ohne staatlichen Zwang gelernt hatten, sich mit dem periodisch auftretenden Hochwasser zu arrangieren. Die Fruchtbarkeit ihrer Wiesen, ihrer Haupterwerbsquelle, hing vom hohen Grundwasserspiegel ab, den Meliorationen absenken würden. 

Zum anderen, nur scheinbar unabhängig von solchen Erwägungen, tatsächlich mit wachem Sinn für die ökonomische Determiniertheit von Kultur, intervenierten Vertreter der sorbischen Minderheit, Journalisten, Lehrer und Pastoren, mit dem Argument, nicht nur die Landschaft, sondern auch die eigentümliche Kultur ihrer Bewohner bedürfe des Schutzes. „Schützt die Flüsse, schützt die Sorben“, lautete daher die von Georg Sauerwein (1831–1904) ausgegebene Parole. Das aus Hannover stammende Sprachgenie, dem die Beherrschung von etwa 50 Sprachen und Dialekten nachgerühmt wird, hegte eine Vorliebe für die „kleinen“ europäischen Völker, ihre Kulturen und Sprachen, die er, wie die Sorben in der seit 1815 zu Preußen gehörenden Niederlausitz, überall durch die nationalstaatlich-administrativ und ökonomisch diktierte „Monotonisierung der Welt“ (Stefan Zweig) vom Untergang bedroht sah.

Für die Historikerin Jana Pinosová (Sorbisches Institut Bautzen) konnte weder der materiell noch der ideell gespeiste „Schutzdiskurs“ jene Kräfte langfristig stoppen, die versuchten, dieser „Kultur das Wasser abzugraben“ (Alltag–Kultur–Wissenschaft, 7/2020). Er verzögerte die Unterwerfung der Spreewald-Landschaft und der Kultur der Sorben durch die „zentralstaatliche Gewalt“ nur unwesentlich. Sie habe sich zwischen 1906 und 1970 in drei Phasen vollzogen, führte zum Verlust der ökologischen Vielfalt, dem Zusammenbruch der Mischökonomien und dem Verschwinden der traditionell lebenden Sorben. 

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