© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Rücktritt vom Rücktritt
Niederlande: Nach heftigem parteiinternem Streit sucht FvD-Gründer Thierry Baudet sein Projekt zu retten
Mina Buts

Teambildung und Wahlkampfstrategien standen auf dem Programm, als sich das niederländische Forum für Demokratie (FvD) in der vergangenen Woche zum Abendessen traf. Doch schon beim musikalischen Rahmenprogramm fing der Streit an. Thierry Baudet bestand auf Johannes Brahms, stattdessen legte Eva Vlaardingerbroek aus dem Vorstand französische Discomusik auf. Für Baudet, zu dem Zeitpunkt noch FvD-Vorsitzender, kaum zu ertragen, ließ er doch nach seinem Einzug in das Parlament 2017 einen Flügel in seinem Büro aufstellen, um dort inmitten ausgewählter Antiquitäten Chopin spielen zu können. 

Streit über Rassismus in den eigenen Reihen 

Die Bombe platzte später am Abend, als Freek Jansen, Busenfreund von Baudet und Vorsitzender der Nachwuchsorganisation JFvD, beichtete, am nächsten Tag würde ein Zeitungsartikel in der Tageszeitung Het Parool erscheinen. Es gehe hierin erneut um den Vorwurf antisemitischer und nazistischer Äußerungen in seiner Jugendorganisation. Nicki Pouw-Verweij, ebenfalls im Vorstand, erwiderte, für sie ende die Meinungsfreiheit bei derartigen Bekundungen. Baudet soll sie daraufhin gefragt haben, ob sie sich schon wieder auf ihrem Kreuzzug gegen Antisemitismus befände; fast jeder, den er kenne, sei ein Antisemit. Mißmutig gingen die Parteiführer auseinander.   

Schon am kommenden Tag waren die Gesprächsinhalte des Vorabends veröffentlicht, der gleichzeitig erschienene Artikel in Het Parool tat sein übriges und innerhalb weniger Tage implodierte die Partei. Baudet erklärte noch am gleichen Abend, er stünde für die Parlamentswahl 2021 nicht mehr zur Verfügung, Theo Hiddema, zweiter Mann im niederländischen Parlament neben Baudet, legte sein Mandat nieder.

 Inzwischen haben fünf von zehn Kandidaten ihre Bereitschaft zur Kandidatur zurückgezogen. Die Ratsfraktion in Amsterdam hat sich ebenso aufgelöst wie jene in den Provinzen Drenthe, Over-ijssel, Utrecht, Flevoland, Nord- und Südholland, Zeeland und Limburg. 

Bei den Provinzialwahlen 2019 wurde FvD stärkste Partei und hätte auch im Parlament mit 25 Sitzen rechnen können, nun werden allenfalls zwei bis drei Mandate für März 2021 prognostiziert.

Der kometenhafte Aufstieg des „rechten Wunderkinds“ Baudet und seiner Partei ist vorerst beendet. Dabei ist diese, obwohl erst 2017 gegründet, mit 48.000 Mitgliedern, davon 6.000 in der Nachwuchsorganisation, die mit großem Abstand mitgliedstärkste in den Niederlanden. Anders als die ebenfalls rechte PVV von Geert Wilders zieht sie ein jüngeres und intellektuelleres Publikum an. Baudet gilt trotz oder vielleicht gerade wegen seines dandyhaften, selbstverliebten Gebarens vor allem bei jungen Menschen als Vorbild. 

Im Sommer 2020 erklärte er in der Wochenzeitung Elsevier, seine Partei – ursprünglich aus einem Referendum entstanden – verstehe sich als „kulturelle Bewegung“ und er wolle es schaffen, mit dieser neben der Christdemokratie, den Liberalen und den Sozialdemokraten eine vierte Säule zu etablieren. Dazu habe die Partei bereits einen eigenen Verlag gegründet, nun gelte es, mit der Stiftung eines Architekturpreises und einer Kunstgalerie auch einen eigenen Lifestyle durchzusetzen.

Entsprechend süffisant kommentierte er die Fraktionsauflösungen: „Wer seid ihr? Die Menschen haben mich gewählt.“ Nun hat er ein Referendum durchgesetzt, in dem die FvD-Mitglieder entscheiden, ob er Parteiführer bleiben soll. Die erhobenen Vorwürfe des Rassismus hat er halbherzig entkräftet, ein neues Personaltableau für März 2021 bereits präsentiert.