© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Die Torwächter bleiben wachsam
Nachlese: Wie sich Schriftsteller-Kollegen von Monika Maron zu ihrem Rauswurf bei S. Fischer äußern
Thorsten Hinz

Die erfreuliche Nachricht: Monika Maron hat nach ihrem Rauswurf beim S. Fischer Verlag rasch eine neue Verlagsadresse gefunden. Ihre Bücher erscheinen künftig bei Hoffmann & Campe in Hamburg. Maron ist prominent, sie besitzt eine in Jahrzehnten gewachsene Lesergemeinde und sorgt für gute Verkaufszahlen. Außerdem hat ihr Bonus als Ost-Dissidentin den vermeintlichen Malus – das Ausscheren aus dem Meinungskorridor West – gerade noch einmal kompensiert.

Der kommode Ausgang des Konflikts, der sich an ihrem Essay-Band entzündete, der in der „Exil“-Reihe des Dresdener Buchhauses Loschwitz erschienen war (JF 45/20), läßt sich daher nicht verallgemeinern. Das Signal, das der erzwungene Wechsel aussendet, ist eindeutig: Wenn selbst eine Autorin ihres Ranges nicht mehr sicher ist, dann kann es jeden treffen, der Anzeichen politischer Unbotmäßigkeit von sich gibt.

Die Torwächter jedenfalls bleiben wachsam. Die Ablehnung von Hoffmann & Campe, sich über die Pressemitteilung hinaus zur Akquise Marons zu erklären, wurde vom Berlin-Brandenburger Kultursender halb patzig, halb drohend quittiert: „Das werden wir ja mal sehen, ob’s da nicht noch Diskussionsbedarf gibt.“ Eine FAZ-Redakteurin meinte zu einem Gespräch zwischen Maron und dem Historiker David Engels, das im Livestream übertragen wurde, die Autorin kombiniere „Klischees der islamischen ‘Masseneinwanderung’ mit diffusen Ängsten eines schillernden Kulturpessimismus“, was „dem demokratischen Selbstverständnis und Toleranzprinzip“ zuwiderlaufe. Sie folgerte: „Spätestens hier war klar: Hätte der S. Fischer Verlag in aller Deutlichkeit auf solche Positionen seiner ehemaligen Autorin verwiesen, um ihren Rauswurf zu begründen, wäre die Entscheidung viel weniger anfechtbar gewesen.“ Es traf also die Richtige!

Grünbein: Über Texte reden, nicht über Haltungen

Wie stark der Anpassungsdruck empfunden wird, zeigt die defensive Äußerung der Fischer-Autorin Felicitas Hoppe im Deutschlandfunk. Sie wisse „aus eigener Erfahrung“, daß das Verhältnis zwischen Autoren und ihren Verlagen „natürlich immer auch heikel“ sei. Doch „die Tatsache, daß Monika Maron jetzt einen neuen Verlag gefunden hat, und zwar nach drei Wochen, spricht dafür, daß wir hier in unserem Land keinen verlegerischen Notstand haben“.

Klar und eindeutig meldeten sich die Schriftsteller Jörg Bernig und Uwe Tellkamp zu Wort: „Wir stellen eine Verwahrlosung und gewalttätige Aufladung der Berichterstattung und Kommentierung fest, wenn über Positionen und Menschen geschrieben und gesprochen wird, die sich kritisch zu problematischen Entwicklungen in diesem Land äußern (…). Mit großer Sorge blicken wir auf uns nachgerufene Formulierungen wie: ‘pegidafiziert’, ‘rassistisch’, ‘ausländerfeindlich‘ oder ‘definitiv neurecht[s]’. Wir fragen: Wohin soll das führen? Was soll der Schritt sein, der auf derlei verbale Attacken folgt?“

Deutlich äußerte sich auch die Autorin Thea Dorn, Moderatorin der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“. Sie nannte die Entscheidung des Verlags S. Fischer gegenüber der Zeit ein „fatales Einschüchterungssignal“ an alle Autoren: „Wehe, ihr wandelt auf Abwegen! Wehe, ihr verstoßt gegen das moralische Reinheitsgebot!“ Sie frage sich, „wie in einem solchen Klima Literatur und Kunst noch gedeihen sollen“. Nun, sie werden sich, wenn es so weiter geht, immer mehr aus den offiziellen Strukturen zurückziehen und sich innere Exile suchen.

Dem Lyriker Durs Grünbein, der in den letzten Jahren mit penetrantem Konformismus hervortrat, ist nun ebenfalls unwohl. Er rief eine verlorengegangene Selbstverständlichkeit in Erinnerung: „Wir müssen wieder lernen, über Texte zu reden, nicht über Haltungen“, sagte er in einem Rundfunk-Interview, nicht ohne sich im selben Atemzug wortreich abzusichern. Er höre zwar in seinem Verwandten- und Bekanntenkreis, daß man nicht mehr sagen dürfe, was man denke, jedoch: „Diese Meinung hab ich nicht.“

Auch sieht Grünbein bei Monika Maron „seit langem eine gewisse Furcht vor einer Überfremdung, (...) auch vor dem Islamismus (...). Aber wenn wir jetzt mal Frankreich als Beispiel nehmen, dort ist ja dieses Kampffeld viel weiter fortgeschritten, aber vielleicht kommen wir darauf noch.“ Leider nein, denn die Sendezeit war schon zu Ende, und so erfuhr man nicht, welches „Kampffeld“ Grünbein meinte: Das Feld der Meinungsfreiheit, auf dem Autoren wie Renaud Camus, Michel Houellebecq, Richard Millet und andere sich betätigen oder der Blutacker des Bataclan, des geköpften Samuel Paty, von Charlie Hebdo.

Poetisch und eindrucksvoll ist der kurze Text, den die Schriftstellerin Judith Hermann auf Anfrage für die FAZ verfaßte. Er handelt von der Schwierigkeit, die Wahrheit zu sagen, ohne sich und den Freund zu gefährden. „Ich habe politische Ansichten und Vorstellungen, die ich nicht öffentlich machen möchte. Der S. Fischer Verlag ist auch mein Verlag.“ Die wichtigste Botschaft des Textes aber liegt im stockenden Rhythmus der Sprache, der das „Herzasthma“ (Thomas Mann) einer Entfremdung nachvollzieht, die so „hoffnungslos (ist) wie die Wahrheit, die unter Verfassungsschutz steht. Mir wird Monika Maron als Autorin meines Verlages, als unersetzliche, mutige, kluge, widerständige Stimme mehr als heftig fehlen.“

Denunziatorische Unterstellung

Die Stimme des Schriftstellers Ingo Schulze, der sich in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Kenne deine Freunde“ zu Wort meldete, hebt sich davon deutlich ab. Der Aufruf zur revolutionären Wachsamkeit in der Überschrift ist keineswegs ironisch, sondern ernst gemeint. Für bemerkenswert hält Schulze, daß die Buchvorstellung der „Exil“-Reihe „an einem 7. März stattfand, jenem Tag, an dem 1933 die erste Bücherverbrennung der Nazis stattgefunden hatte, und das in Dresden“. Großmütig konzediert er, daß dies gewiß ein „dummer Zufall“ war, aber die denunziatorische Insinuation – Verharmlosung des Nationalsozialismus und Verhöhnung seiner Opfer – ist in der Welt.

Die ins Internet gestellte Gesprächsrunde „Aufgeblättert – zugeschlagen: Mit Rechten lesen“, die das Buchhaus Loschwitz mit dem Verlag Antaios veranstaltet, huldigt nach seiner Einschätzung einem „gewöhnungsbedürftigen Humor“. Martin Sellner, Kopf der „rechtsextremistischen Identitären Bewegung Österreich“, sei dort „mit falschem Namen als ‘österreichischen Literaturpapst Robert Wagner’“ aufgetreten. Sellner habe „vom Christchurch Attentäter eine Spende von 1.500 Euro“ erhalten und „stand mit ihm nachweislich in Kontakt“. 

Das ist perfide. Richtig ist: Der spätere Attentäter hatte ein Jahr vor dem Massenmord die Spende an Sellner überwiesen, worauf dieser sich bei dem ihm Unbekannten mit einer Standard-Mail bedankte. Den Humor, über den er sich echauffiert, hat Schulze überhaupt nicht verstanden. „Robert Wagner“ – womöglich ein Pseudonym – heißt ein Internet-Stalker aus dem Umfeld der staatsnahen Amadeu-Antonio-Stiftung, dessen Hauptbeschäftigung darin besteht, sich an die Fersen vorgeblicher „Nazis“, auch an die Fersen Sellners, zu heften.

Stupider „Kampf gegen Rechts“

Nebenbei erwähnt Schulze die Schwierigkeit, Marons Essay-Band überhaupt zu erwerben, weil die Grossisten und Amazon ihn nicht führen. Diese Quasi-Zensur durch die faktischen Monopolisten ist ihm nicht der Rede wert; er registriert sie nicht einmal. Der Chemnitzer Freien Presse aber sagte er: „Es wird doch (...) über kaum jemanden so viel gesprochen wie über diejenigen, die aus konservativer oder rechter Position heraus klagen, man könne nichts sagen.“ Es wird in der Tat viel über sie gesprochen – diffamierend, argumentfrei, mit der Absicht, sie mundtot zu machen und die Grenzen des Sagbaren zu verengen.

Distanzlos benutzt er Begriffe wie „rechtsextremer Verdachtsfall“ und „völkisches Denken“. Statt den amtlichen Macht- und Hegemonial-Diskurs in Frage zu stellen und subversiv zu unterlaufen – was Aufgabe eines Schriftstellers wäre –, bedient er ihn und scheut sich nicht, dabei Kollegen anzuschwärzen. Die Bücher von Monika Maron, Jörg Bernig und Uwe Tellkamp, die die erste Staffel der „Exil“-Reihe bilden, seien „nicht unschuldig“, denn sie würden dazu beitragen, die „völkische Rechte kulturell salonfähig zu machen“. Deshalb sei er „dem S. Fischer Verlag dafür dankbar, daß er nicht, so wie ich und viele andere auch, stillschweigend weggeschaut hat“. 

Wegschauen, hinschauen – es ist das Vokabular der neuen Horch-und-Guck-Gesellschaft aus Verfassungsschutz, Stiftungen, Initiativen, Vereinen, Medien, die sich dem stupiden Kampf gegen Rechts verschrieben haben. Hat Schulze es nötig, sich da einzureihen?

Der 57jährige ist ein bekennender Linker und scharfer Kritiker des globalen Finanzkapitalismus. Kluge Linke wie Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann haben längst begriffen, daß der Global-Humanitarismus, den Schulze vertritt, dessen perfekter ideologischer Überbau ist. Auch der Fischer-Verlag ist Teil eines großen, international agierenden Medienkonzerns. Insofern paßt alles wieder zusammen und Schulze gut ins Bild.

Die Fragen, die im Zuge der „Causa Maron“ aufgeworfen werden, reichen über den konkreten Fall hinaus.