© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Leser wollen Geheimnisse und keine Lösungen
Eine Flugzeugtragödie im Seegebiet östlich von Florida im Dezember 1945 begründete den Mythos vom „Bermudadreieck“
Thomas Schäfer

Das Bermudadreieck markiert ein Seegebiet im westlichen Atlantik zwischen der Südspitze von Florida, Puerto Rico und den rund 360 Inseln der Bermudas. Hier sollen angeblich schon unzählige Schiffe und Flugzeuge mit mehr als eintausend Menschen an Bord auf mysteriöse Weise verschwunden sein. Als mögliche Ursache gelten neben ganz banalem schlechtem Wetter mittlerweile auch Blasen aus Methangas, Infraschall, Monsterwellen und Riesenkraken sowie Wurmlöcher, welche unsere Welt mit Paralleluniversen verbinden, oder Außerirdische auf „Spacenapping“-Mission.

Der Ursprung war ein schwerer Navigationsfehler

Am Anfang des Mythos’ vom Bermudadreieck mit seinen teilweise höchst unorthodoxen Erklärungsmustern stand der legendäre Flight 19, eine Trainingsmission der US Navy mit fünf Torpedobombern vom Typ Grumman TBF Avenger am 5. Dezember 1945. Die Militärmaschinen starteten an diesem Tage in Fort Lauderdale (Florida) und absolvierten anschließend Testabwürfe nahe des Hens-and-Chicken-Riffs. Danach beging der Staffelführer und Ausbilder Lieutenant Charles Taylor einen folgenschweren Navigationsfehler, welcher daraus resultierte, daß ihm das Übungsgebiet unbekannt war. 

Weil Taylor glaubte, die Maschinen mit insgesamt 14 Mann an Bord befänden sich schon über den Florida Keys, ordnete er an, nach Nordosten statt nach Westen zu steuern, um zum Stützpunkt zurückzufinden. Dadurch flog die Gruppe auf den offenen Atlantik hinaus, wo die Bomber dann bei schwerem Seegang und Sturm infolge von Treibstoffmangel notwassern mußten und schließlich im Meer versanken, wobei die Besatzungen ertranken.

Dieser tragische, aber letztlich leicht erklärbare Vorfall erregte zunächst kein besonderes Aufsehen, bis dann Sensationsautoren das Ganze aufgriffen und auf reißerische Weise ausschmückten. Das geschah zuerst 1952 in einem Artikel von George Sand im Magazin Fata. Dem folgten 1962 und 1964 zwei Beiträge von Allan Eckert und Vincent Gaddis in American Legion und Argosy. In den Texten wurde nun unter Verweis auf komplett frei erfundene Funksprüche von Taylor behauptet, die fünf Avenger-Maschinen seien von Außerirdischen abgefangen worden. 

Letzteres suggerierte ebenso auch der amerikanische Linguist und Erfolgsautor Charles Louis Frambach alias Berlitz in seinem 1974 erschienenen Bestseller „The Bermuda Triangle“. Gleichzeitig listete Berlitz noch zahlreiche weitere ungeklärte Katastrophen im Bermudadreieck auf, wie das Verschwinden der Fregatte „Atalanta“ (Januar 1880), des Kohletransporters „USS Cyclops“ (4. März 1918), des Dampfers „Sandra“ (Juni 1950) und des Tankers „Marine Sulphur Queen“ (4. Februar 1963). Außerdem wies der Autor darauf hin, daß auch Dutzende Flugzeuge auf mysteriöse Weise verlorengegangen seien, ohne Spuren zu hinterlassen, darunter die beiden britischen Passagiermaschinen „Star Tiger“ und „Star Ariel“ vom Typ Avro 688 Tudor am 30. Januar 1948 und 17. Januar 1949.   

Berlitz’ Behauptungen wurden 1975 in dem Buch „The Bermuda Triangle Mystery – Solved“ aus der Feder des US-Piloten und Bibliothekars Lawrence David Kusche zerpflückt: Viele der angeführten Unglücke hätten sich weit außerhalb der Grenzen des Bermudadreiecks ereignet. So liege die Untergangsstelle des am 21. April 1925 gesunkenen japanischen Frachters „Raifuku Maru“ keineswegs nahe der Bahamas, wie von Berlitz angegeben, sondern vor Boston. Und ansonsten sei doch zu erwarten, daß es in einem Seegebiet mit starkem Schiffs- und Flugverkehr wie dem östlich von Florida auch zu gelegentlichen Katastrophen komme, für die es freilich stets naheliegendere Erklärungen gebe als Aliens auf der Suche nach Neuzugängen für ihre „Menschenzoos“.

Rückendeckung erhielt 

Kusche vom Londoner Schiffsversicherer Lloyd’s, welcher nach einer statistischen Analyse der ihm gemeldeten Schadensfälle auf See kein erhöhtes Verlustrisiko im Bereich des Bermudadreiecks feststellen konnte. Vielmehr deuten die Zahlen sogar auf das Gegenteil hin, wenn man das immense Verkehrsaufkommen berücksichtigt. Gleiches gilt für die Quote an verschollenen Flugzeugen: Die liegt völlig im Bereich des Normalen. Ja, mehr noch! Während zwischen 1964 und 1975 etwa 30 kleinere Privatflugzeuge im Bermudadreieck verschwanden, gingen über dem Festland der USA im gleichen Zeitraum mehr als einhundert solcher Maschinen spurlos verloren. 

Das verhinderte aber nicht, daß Berlitz’ Buch – in 22 Sprachen übersetzt – mehr als 14 Millionen Mal verkauft und somit sehr viel populärer wurde als jedweder Versuch der Richtigstellung. Denn „die Leser wollen Geheimnisse und keine Lösungen“, wie ein Verleger seine Ablehnung von Kusches grund-solide recherchiertem Manuskript rechtfertigte. 

Dergestalt ermutigt, legte der gewitzte Enkel des Begründers der Berlitz-Sprachschulen 1989 noch einmal nach und publizierte „The Dragons Triangle“ über das angebliche Pendant zum Bermudadreieck im Pazifik zwischen Japan, Guam und Taiwan. Darin ließ er seiner Phantasie ebenso freien Lauf wie im Falle des anderen „Unglücksdreiecks“ – und erzielte damit wiederum recht ansehnliche Einnahmen.