© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Sicherheitsrisiko aus den Tropen
Die Tigermücke ist eine invasive Art mit viel Zerstörungspotential / „Gekommen, um zu bleiben“
Dirk Glaser

Noch 1959 konnte der britische Physiker Charles Percy Snow mit seiner These von den „zwei Kulturen“ Furore machen: Die naturwissenschaftlich-technische und der geisteswissenschaftliche Bereich seien streng gegeneinander abgeschottet, sie hätten sich nichts zu sagen und könnten so nicht bei der Lösung der Weltprobleme kooperieren. In dem Maß, wie seit den 1970ern ein Bewußtsein dafür entstanden ist, daß sich Fortschritt nicht ins Unendliche steigern läßt, daß Industriegesellschaften von endlichen natürlichen Bedingungen abhängen, die ihnen Wachstumsgrenzen aufzeigen und daß es eine Welt ohne Krankheit nicht gibt, hat sich Snows Befund erledigt.

Die Corona-Pandemie führt mit wechselseitigen Abhängigkeiten von Natur, Kultur, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft vor Augen, daß es in Krisen keine Alternative zur interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Natur-, Sozial- und Kulturwissenschaftlern gibt.

Dieser Einsicht hat auch ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft Rechnung getragen, dessen Ansiedlung am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie nicht von vornherein zu vermuten gewesen wäre: „Begrenzte Sicherheiten. Praktiken, Technologie und Politiken der Prävention von Dengue und seinen Vektoren in Europa“. Am Beispiel der Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus) geht es dabei um die Frage, wie ein tropisches Insekt zu einem vorerst noch potentiellen europäischen Biosicherheitsrisiko werden konnte.

„Eliminierung von Larven in ihren Brutgewässern“

Wie das Coronavirus, von dem die Projektmitarbeiter, die auf Medizinanthropologie spezialisierte Juniorprofessorin Meike Wolf und ihr Kollege, der studierte Biochemiker Kevin Hall, bei der Abfassung ihrer Studie (Zeitschrift für Volkskunde, 1/20) über diese invasive Art noch nichts ahnten, ist das europäische Debüt der in Südostasien beheimateten Tigermücke ein Effekt der Globalisierung. Erstmalig 1979 in Albanien dokumentiert, häuften sich die Sichtungen in den 1990ern. Mittlerweile ist der lästige exotische Neuankömmling in Süd- und Westeuropa ein Objekt der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, weil diese in global gehandelten alten Autoreifen eingereiste Spezies, nur kleinste Wassermengen zur Larvenaufzucht benötigt.

Bereits 2016 sah die Nationale Expertenkommission „Stechmücken als Überträger von Krankheitserregern“ am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) „Handlungsbedarf“: Während von 2011 bis 2013 nur einzelne Exemplare der Tigermücke gefangen wurden, konnte 2014 auf einem Friedhof im Osten von Freiburg im Breisgau „außerhalb der Flugdistanz zu einer Autobahnraststätte erstmals eine Aedes albopictus-Population in Deutschland beobachtet werden, die sich über eine längere Zeit (Mitte August bis Ende Oktober) reproduzierte“.

2015 gab es weitere Meldungen von der Autobahn A5 und der A93 sowie aus Jena und Heidelberg. „Im Vordergrund zu ergreifender Maßnahmen sollte das generelle Bestreben stehen, die Einschleppung und lokale Vermehrung nicht-einheimischer Stechmücken zu verhindern“, mahnten die FLI-Experten vor vier Jahren. „Bei der Bekämpfung der Asiatischen Tigermücke ist neben der Reduktion des Brutplatzangebotes die Eliminierung von Larven in ihren Brutgewässern durch die Ausbringung von Bacillus thuringiensis israelensis (Bti)-Toxin vorrangig.“

Die Tigermücke dient als Vektor für etwa zwanzig humanpathologische Erreger. Darunter zählen Zika, Chikunguya, und das Dengue-Virus. 2012 kam es auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira mit 2.000 Erkrankungen zum ersten Massenausbruch des Dengue-Fiebers, einer bis dahin nur in den Tropen gefürchteten „Knochenbrecherkrankheit“, die in ihrer hämorrhagischen Verlaufsform mit hohen Mortalitätsraten einhergeht.

Obwohl bei weitem nicht so gefährlich wie Corona, streichen Wolf und Hall einige Parallelen heraus: Die sich auf den Menschen als ihre „Blutmahlzeit“ stürzende Tigermücke sei „gekommen, um zu bleiben“, sie mache an nationalen Grenzen nicht halt, ihre Anwesenheit resultiere aus umweltzerstörenden Transformationsprozessen der Globalisierung, es stehe weder eine Impfung noch eine Therapie zur Verfügung und sie habe ebenfalls das Zeug, „unser Leben in der Westlichen Moderne“ , dessen zentrale Ordnungsmuster und „äußerst nützlichen Regulierungen“ nachhaltig zu erschüttern.

Informationen des Robert-Koch-Instituts:  rki.de