© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Stabilisierte Instabilität
Venezuela nach der Parlamentswahl: Die Opposition hatte zum Wahlboykott aufgerufen, daher konnten die Sozialisten siegen
Jörg Sobolewski

Bei den Parlamentswahlen in Venezuela am vergangenen Wochenende konnte Staatschef Nicolas Maduro seine Macht ausbauen. Die sozialistische Partei PSUV des Präsidenten und mit ihr verbündete Parteien kamen bei der Abstimmung am Sonntag nach Angaben der Wahlbehörde auf knapp 68 Prozent der Stimmen. 

Die Opposition hatte zwar im Vorfeld zum Boykott der Wahlen aufgerufen, trat aber dennoch in einzelnen Landesteilen an und konnte 18 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Die Wahlbeteiligung lag mit lediglich 31 Prozent der Wahlberechtigten deutlich niedriger als in den Vorjahren, was zum größten Teil auf die Boykottaufrufe der Opposition zurückgeführt wird. 

Legitimität der Wahl wird in Frage gestellt

Die Wahl gilt als Niederlage für den Oppositionschef Juan Guaidó. Dieser lieferte dem sozialistischen Amtsinhaber 2019 einen erbitterten Machtkampf, in dem er sich selbst mit Verweis auf die unfreie Präsidentenwahl 2018 zum Übergangspräsidenten des Landes erklärte. Allerdings konnte sich Guaidó bislang nicht entscheidend gegen Maduro durchsetzen, der weiterhin die Unterstützung des mächtigen Militärs innehat, während Guaidó lediglich auf seine Mehrheit im Parlament zählen konnte. 

Die britische BBC führt in ihrer spanischen Ausgabe das gute Wahlergebnis für Maduro vor allem auf den Boykott der Opposition zurück und schreibt von einer „Stärkung des Chavismo“. Der ehemalige Präsident Hugo Chavez gilt als Begründer dieser, stark populistischen, Ausrichtung des Sozialismus. Juan Guaidó verweist hingegen auf die Einschätzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die bereits im Vorfeld an der Legitimität der Wahlen gezweifelt hatte und schreibt auf Twitter von einer Wahl, die von „Erpressung, Zensur und Wahlfälschung geprägt gewesen“ sei.

Der Staatschef selber bescheinigte seiner Bewegung den Eintritt in einen neuen „Zyklus des Triumphes“. Tatsächlich hatte Maduro bereits 2017 damit begonnen, das oppositionelle Parlament zu entmachten und ließ im Juli desselben Jahres in umstrittenen Wahlen eine sogenannte „Verfassunggebende Versammlung“ wählen, in der wiederum die Regierungsparteien eine Mehrheit besitzen. Unklar bleibt, ob nun die Verfassunggebende Versammlung wieder aufgelöst wird, nachdem die Macht im eigentlichen Parlament wieder an die Regierung zurückgefallen ist. Zumindest theoretisch endet ihr Mandat im Dezember. 

Unklar bleibt ebenso, wie die Zukunft des Landes sich nun entwickeln wird. Beobachter sprechen von einer „Stabilisierung in der Instabilität“, wie es der Politikwissenschaftler und Journalist Jorge Marchant aus Chile bezeichnet. 

Brasilien will Wahlergebnis nicht anerkennen

Tatsächlich steht die Opposition trotz der schweren Wirtschaftskrise im Land geschwächt da. Mitverantwortlich dafür ist der Massenexodus, der das Land seit den Unruhen 2017 heimsucht. Über fünf Millionen Menschen haben Venezuela verlassen. Mehrheitlich, aber nicht nur Anhänger der Opposition. Der kolumbianische Staat, der die Hauptlast der Flucht trägt, warnt mittlerweile vor einem Stimmungsumschwung im Land. Tatsächlich haben weitere lateinamerikanische Länder ihre Zuwanderungsbestimmungen bereits geändert. Mitverantwortlich dafür ist auch die internationale Wirtschaftskrise im Zuge der Corona-Epidemie, die den informellen Sektor besonders trifft, in dem viele Flüchtlinge aus Venezuela tätig sind. 

Vor allem haben sich die wirtschaftlichen Vorgänge im Land längst von der Politik entkoppelt. Einzige ernstzunehmende Währung im Umlauf ist der US-Dollar. Selbst Gehälter werden mittlerweile unter der Hand mit der Währung aus dem „kapitalistischen Ausland“ gezahlt. Es mangelt an Lebensmitteln und medizinischen Gütern. 

Ein „humanitärer Konvoi“ mit Hilfsgütern aus dem Ausland, mit Oppositionsführer Guaidó an der Spitze, wurde im vergangenen Jahr von bewaffneten Kräften an der Einreise gehindert. Seitdem gilt der selbsternannte Interimspräsident als gescheitert. Nach dieser Wahl wird es für ihn noch schwerer, seinen Alleinvertretungsanspruch im Land umzusetzen. Immerhin: Der mächtige Nachbar Brasilien hat bereits angekündigt, die Wahl nicht anerkennen zu wollen: „Brasilien wird auch weiter mit allen vernünftigen Partnern in Venezuela an der Re-Demokratisierung des Landes arbeiten“, so der Außenminister Ernesto Araujo auf Twitter. Eine Kampfansage an Maduro und ein Signal an den strauchelnden Guaidó.