© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Falsche Versprechen
Geldpolitik: Die Reform des Rettungsfonds ESM bringt eine weitere Verwässerung des Euro / Steuerzahler haften
Philipp Bagus

Am 15. Dezember 1995 beschlossen die 15 Staats- und Regierungschefs der damaligen EU bei einem Ratstreffen in Madrid, der künftigen Gemeinschaftswährung den Namen „Euro“ zu geben und sie ab 1. Januar 1999 zunächst als Buchwährung zu einem festen Umtauschkurs einzuführen. Griechenland wurde trotz erheblicher Bedenken 2001 in die Eurozone aufgenommen. Die eigentliche Bargeldeinführung erfolgte dann 2002. Dänemark, Großbritannien und Schweden behielten allerdings ihre nationalen Währungen – und das bis heute.

Auch die 2004 beigetretenen Ländern Polen, Tschechien und Ungarn sträuben sich hartnäckig, Zloty, Krone und Forint für den Euro aufzugeben. Und von Beginn ab gab es zwei konkurrierende Auffassungen darüber, was für eine Währung das Geld der Europäischen Zentralbank (EZB) sein sollte. Der skeptischen deutschen Öffentlichkeit wurde der Euro als Nachfolger der D-Mark verkauft. Die Gemeinschaftswährung sollte nicht zur direkten Finanzierung von Staatshaushalten dienen. Viele Deutsche fürchteten, für die hohen Schulden der Südländer geradestehen zu müssen.

Der Euro wurde nicht so stark wie die D-Mark

So wurde der EZB vertraglich verboten, Staatsschulden direkt zu erwerben, wenngleich sie diese von Beginn an als Sicherheit für Bankkredite entgegennahm. Zudem sah der 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht in der Nichtbeistandsklausel (Artikel 125 AEU-Vertrag) vor, daß Euro-Staaten nicht für die Schulden anderer Mitgliedsstaaten haften. Der damalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) versprach, der Euro werde so stark wie die D-Mark. Wer aber die Euro-Kurs­entwicklung zum Schweizer Franken oder zur Tschechischen Krone anschaut, wird eines Besseren belehrt.

Von einem „deutschen“ Euro sind wir heute weit entfernt, denn die gegenteilige Auffassung zur Rolle des Euro hat kontinuierlich an Terrain gewonnen. Diese französisch-italienische oder auch mediterrane Auffassung sieht in der Geldpolitik ein Instrument, um fiskalpolitische Träume zu verwirklichen. Die Zentralbank ist dem Finanzministerium untergeordnet. Daß es bei solch unterschiedlichen Überzeugungen zu Spannungen und Konflikten kommen würde, war vorprogrammiert. Die daraus resultierenden Kompromisse haben den Euro sukzessive „mediterraner“ gemacht.

Der Sündenfall begann 2010 mit der „Rettung“ des überschuldeten griechischen Staates, als die Nichtbeistandsklausel ignoriert wurde. In der Folge setzte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy gegen deutschen Widerstand den zunächst zeitlich befristeten Rettungsschirm (Europäische Finanzierungsfazilität/EFSF) durch. Die EZB begann, noch selektiv und temporär, Staatsanleihen von Euro-Ländern auf dem Sekundärmarkt zu kaufen.

Deutschland widersetzte sich anfangs auch dem nächsten Schritt, der Umwandlung des temporären EFSF in einen zeitlich unbegrenzten Euro-Rettungsschirm, den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM). Der Fonds kann Kredite an Euro-Staaten vergeben, die sich auf den Kapitalmärkten faktisch nicht mehr finanzieren können. Deutschland bestand gegen den hartnäckigen Widerstand der hoch verschuldeten Südländer darauf, daß Kreditvergaben des ESM an Reformauflagen geknüpft werden.

Die Regeln des Fiskalpakts werden kaum eingehalten

Zudem forderte Deutschland im Gegenzug für seine Zustimmung zum ESM die Verabschiedung des Fiskalpakts, der die Auflagen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verschärft. Darin verpflichten sich die Euro-Staaten praktisch zu einem ausgeglichenen strukturellen Haushalt. In Phasen wirtschaftlichen Wachstums sollen Budgetüberschüsse erwirtschaftet werden, welche Defizite von bis höchstens drei Prozent in Rezessionsphasen ausgleichen. Zudem muß ein Staat bei einem Schuldenstand von über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) den Schuldenberg kontinuierlich durch Überschüsse abtragen.

Die Idee des Fiskalpakts war es, die Euro-Mitgliedsstaaten zu zwingen, ihre Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen, damit auf den ESM gar nicht zurückgegriffen werden muß. Deutschland war also nur bereit, Steuergelder über den ESM für Notfälle zur Verfügung zu stellen, wenn die Südländer sich verpflichteten ihrer Überschuldung Einhalt zu gebieten. Die Blauäugigkeit dabei ist offensichtlich. Der ESM ist gekommen, die Regeln des Fiskalpakts werden indes nicht eingehalten.

Mit der Existenz des ESM wurde ein weiterer Zankapfel geschaffen. Denn Deutschland und die fiskalisch disziplinierteren Länder wollen den ESM möglichst gar nicht zum Einsatz bringen, während die Südländer ihn für ihre Zwecke anzuzapfen versuchen. In dieser Hinsicht ist auch die jüngste Reform des ESM zu verstehen. Die stärke „den Euro und den gesamten europäischen Bankensektor“, erklärte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). „Wir machen die Eurozone noch robuster gegenüber den Attacken von Spekulanten.“

Doch in Wahrheit bedeutet das: Diese Reform erlaubt dem ESM, vorsorgliche Kreditlinien an wirtschaftlich gesunde Staaten ohne Bedingungen zu vergeben, wobei sich die offensichtliche Frage stellt, auf welcher Grundlage ein gesunder Staat eine Kreditlinie des ESM benötigt. Zudem darf der ESM als Letztsicherung des Bankenabwicklungsfonds (SRM) gebraucht werden, wogegen sich Deutschland gesträubt hatte. Denn jetzt könnten deutsche Steuergelder zur Sanierung ausländischer Banken eingesetzt werden.

Nehmen wir an, eine griechische Bank hat Anleihen ihrer eigenen Regierung gekauft und damit die großzügigen Leistungen des griechischen Sozialstaats oder teure  Rüstungsprojekte finanziert. Nun kann der griechische Staat seine Schulden nicht mehr tragen. Es kommt zum Schuldenschnitt. Aufgrund der erlittenen Verluste wird die griechische Bank über den SRM saniert. Als Letztsicherung können hierzu nun auch Kredite vom ESM eingesetzt werden.

Die deutschen Steuerzahler kommen indirekt für die griechischen Staatsschulden auf. Durch die Reform des ESM kann also ihr Geld zur Sanierung des südländischen Bankensektors herangezogen werden, der die südländischen Staaten großzügig finanziert hat. Die Reform ist mithin ein weiterer kleiner Sieg der Südländer. Und damit entfernt sich der Euro nach 25 Jahren ein weiteres Stück von den ursprünglichen deutschen Vorstellungen zum Euro.






Prof. Dr. Philipp Bagus lehrt VWL an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid.






Einzelheiten der ESM-Reform

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde 2012 von den damaligen 17 Euro-Ländern gegründet, um überschuldete Mitgliedsstaaten zahlungsfähig zu halten. Das ESM-Stammkapital beträgt derzeit 704,8 Milliarden Euro. Deutschland (26,9 Prozent), Frankreich (20,2) und Italien (17,8) sind die Hauptgläubiger. Deutschland ist mit 21,7 Milliarden Euro eingezahltem und 189,9 Milliarden Euro gezeichnetem Kapital dabei. Durch die nun vereinbarte Reform kann der ESM im Krisenfall „vorsorgliche Kreditlinien“ (Precautionary Conditioned Credit Line/PCCL) für ansonsten finanziell solide Staaten bereitstellen. Zudem soll der ESM ab 2022 die Funktion einer „Letztsicherung“ (Backstop) für den 2014 gegründeten Bankenabwicklungsfonds SRF übernehmen. Die Europäische Zentralbank (EZB) rechnet durch die Corona-Pandemie damit, daß der Umfang an faulen Krediten bei den Banken in der Eurozone im Extremfall auf bis zu 1,4 Billionen Euro steigen könnte. (fis)

 www.esm.europa.eu