© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Aus fernen Welten
Spurensuche: In ihrem Film „Fireball“ dokumentieren Werner Herzog und Clive Oppenheimer spektakuläre wissenschaftliche Funde über Meteoriten
Lorenz Bien

Werner Herzog und der britische Vulkanologe Clive Oppenheimer, den der deutsche Filmemacher 2007 während eines Drehs kennenlernte, haben nun ihre zweite gemeinsame Produktion vorgelegt. „Fireball: Besuch aus fremden Welten“ lautet die kürzlich erschienene Dokumentation und widmet sich, wie bereits mehrere Dokumentationen Herzogs aus jüngerer Zeit, einem Naturphänomen: Meteoriten.

Mit einer Mischung aus wissenschaftlichem Interesse und poetischer Begeisterung führt Herzog den Zuschauer quer über den ganzen Globus, von Sibirien nach Mekka, von der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo und dem dortigen Teleskop nach Australien, Indien, Hawaii, Mexiko, Arizona. Und auch ins elsässische Ensisheim, wo am 7. November 1492 ein Himmelskörper auf ein Feld herabstürzte.

Und er führt zu Menschen, die irgendwie mit dem Thema verbunden sind. Da ist etwa der norwegische Jazzmusiker Jon Larsen, der durch seine Hobbytätigkeit als Amateurgeologe einen neuen Wissenschaftszweig entdeckt hat: Mikrometeoren, winzigste außerirdische Gesteine, die sich unter anderem auf dem Dach eines Sportstadions in Oslo finden lassen. Unter dem Mikroskop betrachtet, entpuppen sich diese als bizarr-schöne und seltsam geordnet scheinende Muster, die ähnlich wie bei einer Schneeflocke niemals zweimal auftauchen.

Weiter geht es in ein Forschungslabor an der Arizona State University, wo ein kürzlich gefundener Meteorit lagert, wegen seiner Fundstelle in einer Hundehütte Doghouse genannt, der aufgrund enthaltener organischer Moleküle einen merkwürdigen Geruch verströmt. Einen Geruch, der nur wenig Irdischem ähnelt. Tatsächlich seien organische Bestandteile keine Seltenheit bei Meteoriten, so lernen wir, und überhaupt finden sich dort Moleküle, die auf der Erde völlig unbekannt sind. In bestimmten Fällen lassen sich aber Rückschlüsse ziehen. So hält eine Forscherin einen anderen Meteoriten in die Kamera und erklärt, daß dieser vom Mars stammen müsse, weil die in ihm enthaltenen Gase die gleichen seien.

Schließlich landet man noch bei der Besprechung eines berühmten Zitats des US-Astronomen Carl Sagan, laut dem wir alle aus den Ingredienzen eines Sterns bestünden. „Man könnte schon sagen, daß Menschen aus Sternenstaub bestehen“, erklärt die Planetenwissenschaftlerin und Meteroitenforscherin Meenakshi Wadhwa und veranlaßt Herzog zum einzigen Moment, an dem dieser seine Rolle als Regisseur und Stimme aus dem Off verläßt und sich vor die Kamera begibt: „Ich bestehe nicht aus Sternenstaub“, erklärt er. „Ich bin Bayer.“

Betörende Bilder aus der Antarktis

Wie in den meisten seiner Filme findet sich auch in „Fireball“ eine gewisse Doppelstruktur: zum einen widmet er sich dem eigentlichen Gegenstand mit einer obsessiven Detailfreude, zum anderen dient sie auch immer als Vorlage, um dem grundlegenden Verhältnis des Menschen zur Welt nachzuspüren. Wenn Herzog Aufnahmen von der Kaaba aus Mekka zeigt (bei dem darin enthaltenen Stein handelt es sich nach Ansicht der meisten Forscher um einen Meteoriten) oder einen Tempel in Indien besucht, der am Ufer eines Sees gebaut wurde, welcher durch einen Meteoriteneinschlag entstand, dann geht es auch immer darum, wie sich der Mensch gegenüber der Welt um ihn herum verhält.

Die Natur, so wurde Herzog nie müde zu betonen, ist weit, unverständlich, gleichgültig und grausam. Und doch kann der Mensch nicht anders, als in dieser Ungeheuerlichkeit etwas zu erahnen, was ihn inspiriert und ergreift. So ist etwa einer der interviewten Wissenschaftler zugleich Pfarrer und beschreibt seinen ersten erblickten Meteoriten folgendermaßen: „War es beeindruckend? Nein. Es war beängstigend. Es sah aus wie etwas, das man nur von einer Photographie kannte, und es gehörte dort nicht hin. Da wurde mir klar, warum die Urvölker Kometen für sehr unheimliche Ereignisse hielten.“ 

In der wahrscheinlich schönsten Episode des Films findet diese Vorstellung schließlich ein bestechendes Bild. Gegen Ende besuchen Herzog und Oppenheimer ein koreanisches Forschungsteam in der Antarktis und begleiten sie auf einer ihrer Expeditionen. Dabei laufen die Männer mit mehreren Metern Abstand über die sich endlose Kilometer erstreckenden Eisflächen und halten Ausschau nach schwarzen Punkten. Denn in der Landschaft aus purem Eis gibt es keine Vegetation, keine Erde, nicht einmal Schnee und kein Gestein. Das bedeutet: Jeder Stein, den man sieht, ist ein Meteorit.

Es sind die unwirklichsten Aufnahmen des Films. Der über die Oberfläche peitschende Wind gibt dem Boden einen Anschein von Bewegung, gleichwohl könnte man in jede Richtung monatelang laufen und würde keinerlei Leben vorfinden. Es ist, wie Herzog aus dem Off treffend bemerkt, ein passendes Sinnbild für die Stellung des Menschen im Weltraum. Dennoch betören die Bilder der Antarktis ebenso wie die Geschichten der Meteorite, als läge in ihrer Leblosigkeit eben die Ahnung einer alle menschlichen Belange weit überschreitenden Macht. Herzogs und Oppenheimers Verdienst ist es, daß sie diese Ahnung in großartigen Bildern festhalten konnten. 

Die Dokumentation „Fireball“ läuft auf dem Streamingdienst Apple TV+.