© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Einheitsmeinung für die Welt
Presse-NGO: Das „Project Syndicate“ beliefert 500 Medienhäuser mit Gastbeiträgen
Björn Harms

Kürzlich sorgte in der Medienlandschaft ein Artikel des Berliner Tagesspiegels für Aufsehen: Auf der Onlineseite der Zeitung erschien ein längerer Gastbeitrag des Multimilliardärs und „Philanthropen“ George ­Soros. Zwar überrascht der Inhalt wenig – ­Soros arbeitet sich an seinem ärgsten Widersacher ab, dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, und brandmarkt ihn als „dreisten Kleptokraten“ und „Serientäter“, der sein eigenes Land ausplündere –, aber wie ist der Tagesspiegel an ­Soros als Autor herangekommen? 

Zum Ende des Artikels folgt die Auflösung im Kleingedruckten. „Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2020“ ist dort zu lesen. Exklusiv wurde der Text also nicht veröffentlicht. Tatsächlich ist die Abrechnung mit seinem Intimfeind bereits am 19. November auf der Plattform von „Project Syndicate“ erschienen, und im gleichen Wortlaut auch in Dutzenden anderen Zeitungen weltweit.

Der Tagesspiegel ist nämlich nur eines von mehreren Blättern, die sich dem 1995 gegründeten Netzwerk angeschlossen haben. Hinzu kommen in Deutschland das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche, das Magazin für Internationale Politik und Gesellschaft, Euro am Sonntag, das Debattenmagazin Gegenblende und die Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Weltweit sind über 500 Zeitun-

gen, Magazine oder Nachrichtenseiten mit einer Gesamtauflage von fast 70 Millionen Exemplaren der Medien-NGO mit Sitz in Prag beigetreten. Darunter führende Blätter wie Le Monde (Frankreich), der Corriere della Sera (Italien) oder El Pais (Spanien). 

Project Syndicate liefert laut eigenen Angaben „originelle, qualitativ hochwertige Kommentare“ für ein weltweites Publikum. „Mit exklusiven Beiträgen von prominenten Politikern, Entscheidungsträgern, Wissenschaftlern, Wirtschaftsführern und Bürgeraktivisten aus der ganzen Welt bieten wir den Nachrichtenmedien und ihren Lesern unabhängig von ihrer Zahlungsfähigkeit topaktuelle Analysen und Einblicke.“ Ein Großteil der Netzwerk-Mitglieder erhalte die Beiträge sogar kostenfrei oder zu subventionierten Preisen.

Finanziert von altbekannten Stiftungen

Und so versucht das Projekt unter dem Motto „die Meinungsseite der Welt“ die globalen Diskurse zu bestimmen. Während das Themenspektrum tatsächlich breit gefächert ist und von Wirtschaftspolitik über Strategien für weltweites Wachstum bis hin zu Menschenrechten, Islam und Klima reicht, ist die jeweilige Meinungsvielfalt arg begrenzt. Die gelisteten Autoren – von grünen Umweltvertretern bis hin zu neokonservativen Politikern – vertreten altbekannte Mainstream-Positionen. Wirklich kritische Geister, die etwa an etablierten Strukturen rütteln, findet man nicht. Und so greifen nicht nur EU-Frontmann ­Guy ­Verhofstadt oder der ehemalige deutsche Außenminister ­Joschka ­Fischer zur Feder, sondern auch Zeit-Herausgeber ­Josef ­Joffe und etablierte Wirtschaftswissenschaftler wie ­Joseph ­Stieglitz oder ­Hans-­Werner ­Sinn. Im Beirat der NGO sitzen unter anderem der ehemalige Premierminister des Vereinigten Königreichs, ­Gordon ­Brown (Labour), und die frühere EU-Kommissarin für Klimaschutz, die Dänin ­Connie ­Hedegaard (Konservative Volkspartei).

Finanziert wird das Netzwerk von den üblichen Verdächtigen: In den vergangenen beiden Jahren flossen insgesamt 300.000 Dollar aus der Open Society Foundation von ­George ­Soros in das Projekt. Die ­Bill & ­Melinda ­Gates Stiftung überwies 1.619.861 Dollar (2019), 1.653.105 Dollar (2016) und 2.007.220 Dollar (2012). Auf der Liste der Unterstützer finden sich zudem die den Grünen nahestehende ­Heinrich-­Böll-­Stiftung, das SPD-Pendant der ­Friedrich-­Ebert-­Stiftung, sowie die Digital News Initiative des Tech-Giganten Google, das Global Institute von ­McKinsey und die ­Mohammed bin ­Rashid Al ­Maktoum Knowledge Foundation aus Dubai. 

Daß wirkliche Meinungsvielfalt im Project Syndicate nicht vorgesehen ist, unterstrich im übrigen auch das weitere Vorgehen des Tagesspiegels. Ungarns Botschafter ­Peter ­Györkös bot dem Blatt am 25. November einen Antworttext an – von Ministerpräsident ­Orbán persönlich. Fünf Tage verstrichen, ohne daß die Zeitung reagierte. Schlußendlich erschien der Gastbeitrag dann bei Tichys Einblick.