© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Die angeblich perfekte Illusion von Fleisch
Fraunhofer-Institut forscht für die Ernährungswende / Immer mehr Lebensmittelmimikry auf dem Teller?
Dieter Menke

Der treueste Freund des Menschen ist nicht der, der nach Auslauf lechzt, sondern dessen entfernter Verwandter, der „innere Schweinehund“. Das glauben zumindest Lebensmitteltechnologen vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising bei München. Denn anders als mit unbesiegbarer Willensschwäche ist für sie nicht zu verstehen, warum der durchschnittliche Konsument noch immer dem Sirenenruf des Fleisches folgt, obwohl ihm verheerende ökologische Kollateralschäden dieser Leidenschaft bewußt sein dürften.

Für die Herstellung von einem Kilo verzehrfertigem Rindfleisch werden 15.000 Liter Wasser benötigt. Zudem entstehen zwölf Kilogramm Kohlendioxid – soviel wie einem VW Polo auf 100 Kilometern aus dem Auspuff entweicht. Schweinefleisch und Geflügel sind mit vier Kilogramm CO2 zwar „klimafreundlicher“, aber angesichts einer für dieses Jahr prognostizierten weltweiten Fleischproduktion von 256 Millionen Tonnen Fleisch sei eigentlich kein Genuß ohne Reue mehr möglich (Weiter vorn. Das Fraunhofer Magazin, 3/20).

„95 Prozent der Erbsen aus deutschem Anbau“

In Deutschland liege der Pro-Kopf-Verbrauch mit 59,5 Kilogramm jährlich unter dem EU-Schnitt. Der Fleischverzehr ist auch um etwa ein Drittel niedriger als in Australien, den USA, Argentinien oder Israel. Doch Gesundheitsaspekte und der Antibiotika- und Hormoneinsatz sowie die Gülle der Massentierhaltung bieten Anlaß für Fleischalternativen. Seit zehn Jahren experimentieren die Freisinger Forscher erfolgreich mit pflanzlichen, teilweise marktreifen Alternativen zu Bratwurst, Buletten, Rumpsteak und Schnitzel.

Sie sind sich gewiß, daß ihre IVV-Burger wie Hackfleisch aussehen, riechen, schmecken, sie also „die perfekte Illusion von Fleisch“ kreieren. Den kräftigsten Schub dafür verschaffte dem Team um Christian Zacherl und Raffael Osen die Extrusionstechnologie, die Bearbeitung pflanzlicher Proteine in einer Verdichtungsschnecke mit Druck und Hitze. Während das trockenextrudierte Proteintexturat – am IVV gewinnt man sie lieber aus der heimischen Erbse statt aus Soja – zunächst noch zu harte poröse Strukturen aufweist, ergibt sich, nach dem Zusatz von Wasser und dem Verdickungsmittel Methylcellulose, ein Naßextrudat mit einer erfreulich muskelfaserähnlichen Textur.

Das soll den „gewissen Biß“ haben und sich kaum noch von Geflügel, Schweine- oder Rindfleisch unterscheiden. Das war keine leichte Aufgabe, denn echtes Fleisch ist ein multisensorisches Erlebnis. Pflanzliche Alternativen üben sich daher in mehrfacher Hinsicht in Imitation. Nicht nur der Geschmack und das „Mundgefühl“ müssen stimmen, sondern auch Optik und Geruch. Wer ein fleischloses Pflanzerl ins heiße Fett legt, will die typischen Röstaromen riechen, wie sie hier zugesetztes Rapsöl und Kokosfett entfalten. Und dem mitessenden Auge täuscht etwas Rote-Beete-Extrakt fleischähnlich-blutiges Aussehen vor.

Die Amidori Food Company hat inzwischen die Vermarktung von IVV-Erfindungen wie „Veggie Hacksteak“ und „Veggie Cevapcici“ übernommen: „Unsere Produkte sind frei von ‘Genmanipulation’, frei von Soja, frei von Palmöl“, heißt es in der Eigenwerbung der Bamberger Firma. „95 Prozent der Erbsen stammen aus kontrolliertem deutschen Anbau.“ Die Körnererbse reduziere Nitratrückstände im Boden, sorge so für besseres Grundwasser und erhöhe die „Bodenaktivität“, denn sie reichere gute Bakterien im Boden an.

Da längst selbst ein traditioneller Wurstfabrikant wie die 1834 in Hinterpommern gegründete „Rügenwalder Mühle“ mit einem veganen Sortiment aufwartet und Burger King in Deutschland mit weltmännisch oder zeitgeistig „Plant-based Nuggets – Zero Chicken“ wirbt, glaubt man im IVV, der Verbraucher sei endlich kulinarisch mutiger geworden.

Sogar am pflanzlichen Fisch „sind wir bereits dran“, verrät Osen. Mit der Nachfrage dürfte es nicht hapern, freut sich der Forscher angesichts der Überfischung der Meere, des Schwermetalls und des Mikroplastiks im Fischfleisch. Die ersten pflanzlichen Fischstäbchen seien schon im Handel erhältlich. Auch „Shrimps vom Acker“ könne er versprechen, denn man sei im Rahmen des EU-Projekts „Smart Protein“ gerade damit beschäftigt, Meeresfrüchte auf pflanzlicher Basis zu erzeugen.

 www.ivv.fraunhofer.de

 www.amidori.com