© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Am Rande des Erträglichen
Reportage von der Corona-Station: Eine Krankenschwester und ein Pfleger berichten – von belastender Arbeit, Unterbezahlung, Pflegenotstand
Martina Meckelein

SPD-Bundestagsabgeordneter Karl Lauterbach macht beim Gesundheitspersonal eine zu geringe Bereitschaft aus, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Vermutlich stehe dahinter die Einschätzung vieler Mediziner und Pflegekräfte, nicht zur Hochrisikogruppe zu gehören und durch Spezialkleidung gut geschützt zu sein, sagte er der Funke-Mediengruppe. Lauterbach, die „SPD-Alarmsirene“ (Die Zeit), verkennt, daß erstens Impfstoffe noch nicht zugelassen sind und zweitens gerade medizinisches Personal, ob seiner Fachkenntnis, den Verlautbarungen aus der Politik kritisch gegenübersteht. Die JUNGE FREIHEIT hat mit denen gesprochen, die täglich ihre Gesundheit für uns einsetzen – einer Krankenschwester und einem Pfleger. Hören wir denen zu, die aus der knochenharten Praxis kommen.

„Allein das Umziehen     dauert vier Minuten“

„Ich arbeite auf einer Intensivstation, die ausschließlich Corona-Patienten betreut.“ Die Krankenschwester möchte unter gar keinen Umständen, daß ihr Name in der Zeitung genannt wird, sie befürchtet arbeitsrechtliche Konsequenzen. „Ich erzähle Ihnen mal, wie eine Schicht aussieht und was einem Patienten bevorsteht, sollte er zu uns kommen.“

Die Frau arbeitet in einer Berliner Klinik der Maximalversorgung. Im Tagesreport des Divi-Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Mitte März eingerichtet, wurden für den 15. Dezember 1.290 Krankenhausstandorte mit Intensivstation (ITS) gemeldet, die Corona-Patienten behandeln. Insgesamt waren 22.471 ITS-Betten belegt und 4.682 Betten frei. „Wir haben hier zwölf Betten, alle sind mit Covid-Patienten belegt, zehn von ihnen werden beatmet“, rechnet die Schwester vor. „Wir sind 48 Kollegen, viele in Teilzeit. Meine Schicht beginnt um 14 Uhr. Das heißt, um diese Zeit habe ich mich vollständig in weiße Klinikkleidung umgezogen auf der Station einzufinden. Dann erfolgt die Übergabe.“ Sie sitzen dann im Besprechungsraum, der Frühdienst gibt die aktuellen Daten aller Patienten an den Spätdienst weiter. Bei der Übergabe ist kein Arzt dabei. Dann teilen sie sich auf, klären ab, wer welchen Patienten betreut. „Optimal wäre es, wenn wir einen Patientenschlüssel von 1 zu 2 hätten; wir haben aber einen von 1 zu 3. Wenn also nur einer meiner drei Patienten instabil ist, kommen alle zu kurz.“

Gemeinsam gehen die Schwestern und Pfleger dann mit den Kollegen vom Frühdienst zu den Patientenzimmern. Im Zimmer sind sie zum Tragen einer FFP2-Maske ohne Ventil verpflichtet, darüber ziehen sie Mund- und Nasenschutz, zwei Paar Handschuhe und einen Schutzkittel, Schutzhaube und Schutzbrille. Allein das Umziehen mit Desinfektion der Hände dauere nach Auskunft der Schwester vier Minuten.

„Grundsätzlich hat jeder Patient mehrere Zugänge gelegt bekommen. Da wäre der zentrale Venenkatheter am Hals oder in der Leiste, dann ein Katheter am Handgelenk – darüber kann man Blut abnehmen zur arteriellen Blutgasanalyse, das ist gerade bei Corona-Patienten wichtig. Dann haben wir eine Magensonde, über die der Patient mit Astronautennahrung ernährt wird, einen Dauerkatheter für den Urin und den Beatmungsschlauch in der Luftröhre.“ Sie kontrollieren die Vitalparameter und Ausscheidungen, ob sich also der Zustand verbessert oder verschlechtert hat.

„Um mein Sorgenkind – und wir haben natürlich jeder ein Sorgenkind in der Gruppe – kümmere ich mich zuerst. Ich checke alle Geräte: die Medikamentenpumpen, über die die hochpotenten Medikamente in den Körper gelangen. Hier muß ich auch vorausschauend arbeiten, kontrollieren, wann ich neue Medikamente anschließen muß. Vorausschauend planen, Medikamente zurechtstellen, ist das A und O. Dann die Kontrolle der Alarmeinstellungen, Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung, Temperatur, die Einstellungen des Beatmungsgerätes. Viele Covid-Patienten sind an die Dialyse angeschlossen, die läuft 24 Stunden rund um die Uhr.“

Besondere Aufmerksamkeit benötigen Patienten, die im künstlichen Koma liegen. Die Tiefe des Komas wird über die Menge und die Art der Medikamente geregelt. Allerdings kann dadurch wiederum der Blutdruck sinken. „Dagegen gibt es dann Noradrenalin. Gegen Thrombose Blutverdünner. Cortison drückt das Immunsystem, das führt allerdings zu bakteriellen Infektionen, die wiederum mit Antibiotika in Schach gehalten werden müssen. Die können allerdings wiederum zum Darmverschluß führen. Dagegen helfen dann Abführmittel.“ Der Stuhlgang sammelt sich in einem Plastikbeutel, der am Darmausgang befestigt ist.

„Haben Patientenanfall    wie jedes Jahr“

So sieht der Umgang mit einem stabilen Intensiv-Patienten aus. „Wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtert, wenn der Sauerstoffwert weiter sinkt, dann wird über eine Bronchoskopie nachgedacht. Dabei setzen wir selbst uns erst einmal ein Visier auf, um uns vor den Viren der Atemluft zu schützen. Wir öffnen den Beatmungsschlauch, ein Arzt setzt dann einen Schlauch an, um die Lunge zu begutachten und Sekret aus der Lunge zu extrahieren.“ Dann wiederum wird entschieden, ob der Patient in die Bauchlage positioniert werden sollte. Damit soll der Gasaustausch in der Lunge verbessert werden.

„Das Lagern ist sehr komplex. Drehen Sie mal so einen korpulenten Durchschnittsdeutschen mit viel Bauch und wenig Hals um! Und lagern ihn so, daß sämtliche Zugänge nicht abknicken und funktionieren. Dafür brauchen Sie drei Pfleger und einen Arzt, der zur Sicherheit immer am Kopfende den Tubus hält. Das nimmt 30 bis 40 Minuten in Anspruch.“

16 Stunden liegt der Patient in Bauchlage, dann sechs Stunden in Rückenlage. Insgesamt wird diese Prozedur mindestens viermal hintereinander durchgeführt. „Wenn Patienten auf die Station kommen, sind sie oft noch bei vollem Bewußtsein, lächeln uns an. Und dann, man muß es so realistisch sagen, geben unsere Patienten an der Stationstür jede Privatsphäre ab. Natürlich versuchen wir die ihnen zu erhalten, aber es ist wirklich einfach mal richtig und wichtig, das hier alles so ehrlich zu schildern.“ Besonders betroffen macht die Schwester das Schweigen der Öffentlichkeit: „Darüber redet niemand in der Politik und niemand in den Medien. Das ärgert mich. Dieses Virus ist an sich schon extrem gefährlich, aber was dem Kranken durch die Behandlung widerfährt ist auch kein Pappenstiel.“


***


Ein anderes Krankenhaus, ebenfalls Maximalversorgung. Vor einigen Nächten schloß es seine Notaufnahme wegen Überlastung. Die Presse vermutet sofort: Corona-Kollaps. „Ich kann das langsam echt nicht mehr hören“, schimpft ein Krankenpfleger gegenüber der JF. „Ich arbeite seit 30 Jahren als Pfleger. Immer mal wieder wird die Klinik für die Feuerwehr gesperrt. Wir haben einen Patientenanfall wie jedes Jahr, es ist Grippe halt, das hat nichts mit Corona zu tun.“ 

Der Mann will ebenfalls unbedingt anonym bleiben. „Bei uns im Keller stehen die Betten und Geräte aus dem Berliner Corona-Messekrankenhaus, alles noch original verpackt. Verdammt noch mal, wir müssen einfach sehen, daß unser Problem nicht fehlende Technik, sondern fehlendes Personal ist. Der Pflegenotstand hat uns seit über 30 Jahren fest im Griff. Kein Politiker, kein Verwaltungshengst soll mir sagen, daß er von dem Problem noch nichts gehört habe.“

Aber warum sieht es so miserabel aus? „Wissen Sie, bei uns sitzt McKinsey im Haus und grübelt auch darüber nach. Im Grunde ist das lachhaft. Ich bin Intensivpfleger und Anästhesieassistent und gehe mit 1.900 Euro netto im Monat raus. Und Sie fragen, warum es so wenig Krankenschwestern und Pfleger gibt. Der Beruf ist finanziell unattraktiv! Dazu die wahnsinnige Arbeitsbelastung. Ich arbeite von 7.30 Uhr morgens bis 16 Uhr, dann habe ich die Nacht durch bis 7.30 Uhr Bereitschaft, um dann wieder bis 16 Uhr zu arbeiten. In der Bereitschaft wird mir nur die Zeit gezahlt, die ich definitiv in der Klinik arbeite, mehr nicht. Vor kurzem traf ich morgens um 3 Uhr einen total mißlaunigen jungen Arzt. Ich sagte: Du mußt mich nicht anpflaumen. Er entschuldigte sich und erklärte mir, daß er zum dritten Mal während seines aktuellen Urlaubs operieren würde. Notstand, wohin man sieht. Es geht uns allen so, von der Schwester bis zum Arzt.“

Operationen bei Krebs   werden verschoben

Eine Erklärung für die miserable Bezahlung könnte der hohe Frauenanteil im Gesundheitsbereich sein. Zwar arbeiten hier 5,7 Millionen Menschen in Deutschland, allerdings sind 75,6 Prozent davon Frauen. Nur knapp die Hälfte (48 Prozent) sind vollzeit-, 39 Prozent teilzeit- und 13 Prozent geringfügig beschäftigt, so das Statistische Bundesamt. Beängstigend ist allerdings die Zahl der über 60 Jahre alten Beschäftigten: Die beträgt 12,3 Prozent.

„Das Personal wird nicht nur immer älter, weil uns der Nachwuchs fehlt“, sagt der Pfleger, „wir werden aktuell auch immer weniger auf den Stationen.“ Und damit hat nun wirklich Corona zu tun. „Wenn jemand von uns erkrankt oder infiziert ist, werden wir vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt. Dagegen kannst du dich nicht wehren, die ist angeordnet.“ Vier schwererkrankte Kollegen hätten sie zur Zeit. Die Quarantäne beträfe dann gleich zehn bis 15 weitere Kollegen. Der Pfleger solle jetzt auf der Intensivstation aushelfen.

„Es ist schon am Rande des Erträglichen, was wir uns so täglich von der Klinikverwaltung anhören müssen“, sagt die Krankenschwester, und in ihrer Stimme schwingt Empörung. „Sollte ich in Quarantäne kommen, könnte ich ja durchaus auf der Station weiter arbeiten gehen, sagte mir die Klinikverwaltung. Nur in den Öffis sollte ich dann aufpassen. Sie halten das für einen Witz? Keinesfalls, ich kenne Ärzte, die so arbeiten. Wenn ich dann aus unserem Haus höre, die Klinikleitung überlege, in Rente gegangenes Personal wieder zu reaktivieren, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Das sind doch ältere Menschen, das sind Risikopatienten.“ Statt Rentner zu reaktivieren, geht die Verwaltung im Krankenhaus des Pflegers einen anderen Weg. „Wir wurden verpflichtet, die FFP3-Masken rund um die Uhr zu tragen. Dabei ist das vom Arbeitsschutz gar nicht zulässig. Nur 90 Minuten dürfen sie getragen werden, dann müssen 30 Minuten Pause eingelegt werden. Wenn wir uns dann doch infizieren, müssen wir die Quarantäne als unbezahlten Urlaub verbringen, die Verwaltung argumentiert nämlich, daß wir uns in der Klinik nicht hätten anstecken können. Es geht eben nur ums Geld. Ich sage immer zu meinen Patienten: ‘Es ist nicht schlimm, wenn Sie gesund werden – das ist ein Nebeneffekt –, denn im Grunde wollen wir nur an Ihnen Geld verdienen.’“

Seit 2004 rechnen Krankenhäuser nicht mehr nach Tagessätzen ab, sondern auf der Basis diagnosebezogener Fallpauschalen“, berichtet das Ärzteblatt. Gestalte sich die Behandlung eines Patienten aufwendiger, als durch die pauschale Vergütung gedeckt, mache das Krankenhaus Verlust. Gelinge es aber, wirtschaftlicher zu arbeiten, als bei der Kalkulation der DRG-Pauschale berechnet, ließe sich ein Gewinn erzielen. Das, so berichten Ärzte, führe dazu, daß Patienten früher als medizinisch geboten entlassen werden.

Die Belastung für die Patienten durch das Corona-Chaos ist enorm. „Operationen bei Krebspatienten werden verschoben. Für den Kranken ist das eine enorme Belastung“, sagt der Pfleger. „Aber es geht ja nicht nur um solche Ausnahmefälle. Wir hatten hier einen jungen Mann, nichts Schlimmes, eine Knieoperation, der lag schon dreimal im OP und wurde wieder rausgeschoben, weil etwas Wichtigeres dazwischengekommen war, der hat geflucht. Kann man verstehen. Der hat sich Urlaub genommen, dann muß er nüchtern sein, früh morgens in die Klinik, die ganze Aufregung – und es ist wieder nix.“

Auf der Corona-Station der Krankenschwester können die Patienten nicht mehr fluchen. Sie sind still. „Das einzige, was zu hören ist, sind die Alarme der Maschinen. Es ist im Grunde wie auf einem Raumschiff, ein anderer Kosmos. Hier geht es nur noch ums nackte Überleben.“





Pflege: Deutschland im oberen Drittel

Fast 500.000 Pflegefachkräfte arbeiteten zum 31. Dezember 2018 in Kliniken, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. Das bedeutet, daß sechs Pflegefachkräfte auf 1.000 Einwohner kommen. Die Zahl der Pfleger pro Einwohner ist damit seit 2012 gestiegen. So die Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden.

Das klingt zunächst positiv. Doch im gleichen Zeitraum ist die Zahl der krankheitsanfälligen Alten von 80 Jahren und darüber deutlich stärker angestiegen. So kommen auf tausend Personen in der Altersgruppe 80 und darüber heute nur noch 92 Pfleger. 2012 waren es noch 104. „Im Vergleich mit den OECD-Mitgliedstaaten lag Deutschland mit der Versorgungsdichte an Pflegefachkräften (pro Einwohner) an achter Stelle und damit im oberen Drittel“, teilte das Bundesamt damals mit. 28 Länder hatten ihre Versorgungsdichte geprüft. Norwegen (9,1), Belgien (7,3), Österreich (7,0) oder auch Großbritannien (6,2) stehen besser als Deutschland da, Frankreich (5,7), die Niederlande (4,5), Italien (4,4), Spanien (3,6) oder Chile (1,0) teilweise signifikant schlechter. (mec/mp)