© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Klimaneutral ausplündern
Verkehrspolitik: Die neue Mobilitätsstrategie der EU ist ein Frontalangriff auf die Reisefreiheit
Christian Schreiber

Auf dem jüngsten EU-Gipfel wurden nicht nur Corona-Hilfen und der Haushalt mit 1,8 Billionen Euro abgesegnet. Die 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen zudem eine Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990. Bisher lag das CO2-Ziel der EU bei 40 Prozent. Die Zustimmung der östlichen EU-Staaten wurde durch einen „Modernisierungsfonds“ erkauft. Ob damit auch Kernkraftwerke finanziert werden können, ist unklar.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jubelte: „Jetzt beginnt ein klarer Weg hin auf die Klimaneutralität 2050.“ Was dies in der Praxis heißt, verrät ein Papier der EU-Kommission (COM 2020/789). Und die 25seitige „nachhaltige und intelligente Mobilitätsstrategie“ der EU, die von dem niederländischen Kommissionsvize Frans Timmermans verantwortet wird, ist ein Frontalangriff auf die Autoindustrie und die Freiheit und Geldbörse der Bürger.

Die EU-Verkehrskommissarin Adina Valean verkauft die 111 Punkte natürlich anders: „Mit dieser Strategie werden wir ein effizienteres und widerstandsfähigeres Verkehrssystem schaffen, das im Einklang mit den Zielen des europäischen Green Deals konsequent auf eine Verringerung der Emissionen ausgerichtet ist“, erklärte die rumänische Politikerin der Nationalliberalen Partei (PNL). „Mit Hilfe der Digitalisierung können wir die Art und Weise, wie wir uns bewegen, revolutionieren und unsere Mobilität intelligenter, effizienter und auch umweltfreundlicher machen.“

Das letzteres wie aus einer grünen Werbebroschüre für Carsharing klingt, überrascht nicht: Die 52jährige arbeitete von 1999 bis 2001 als Programmdirektorin der rumänischen Vereinigung für Freiheit und Entwicklung und als Generaldirektor der Stiftung „Institut für freie Initiative“, die unter anderem von der „Open Society Foundation“ von George Soros unterstützt wurden.

Passend zum 55-Prozent-CO2-Ziel sollen bis 2030 „mindestens 30 Millionen emissionsfreie Pkw“ auf den EU-Straßen unterwegs sein. Bei einem Fahrzeugbestand von etwa 250 Millionen wäre das eine E-Auto-Quote von zwölf Prozent. Das klingt wenig, aber da in ärmeren EU-Staaten Verkaufspreise von 35.000 bis 60.000 für einen Elektro-Pkw illusorisch sind, heißt das: Deutschland, Österreich, die Niederlande und Skandinavien müssen ihren Bürgern eine viel höhere E-Auto-Quote verordnen.

Ähnliches gilt für das EU-Ziel, 100 Städte müßten 2030 „klimaneutral“ sein. Praktisch heißt das: Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen innerhalb der Stadtgrenzen, „Entwicklung zusätzlicher Fahrradinfrastrukturen“, Heizen ohne Gas, Öl oder Kohle und Produktionsverlagerung ins Um- oder Ausland. Einen kleinen Vorteil haben Polen, Tschechen und Ungarn beim EU-Etappenziel, sämtlichen „Linienverkehr auf Strecken unter 500 Kilometern“ innerhalb von zehn Jahren „klimaneutral“ anzubieten: Hier gibt es nicht nur zahlreiche Straßenbahn-, sondern auch noch einige Oberleitungsbus-Linien.

Auch „erneuerbare und CO2-arme Kraftstoffe“ erlaubt?

Aber alle Regionalbahnen von Diesel- auf E-Loks umzustellen und alle Dieselbusse zu verschrotten und durch Wasserstoff- oder Batteriebusse zu ersetzen ist selbst in einem schwarz-grün regierten Deutschland unbezahlbar. Daher hat die EU eine Hintertür offengehalten: Die angeblich emissionsfreien Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge können auch mit „erneuerbaren und CO2-armen Kraftstoffen“ betankt werden. Und bis in Deutschland die von AfD und FDP propagierten synthetisch hergestellten Kraftstoffe („E-Fuels“, JF 12/19) massenmarktreif sind, freut sich Brasilien auf einen neuen Milliardenmarkt für sein bewährtes Bioäthanol aus Zuckerrohr.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begründete voriges Jahr die zum 1. April 2020 erhöhte Luftverkehrsteuer so: Es könne „nicht sein, daß auf bestimmten Strecken Fliegen weniger kostet als Bahnfahren“. Corona hat nun Lufthansa und Flughäfen auf ganz andere Weise in Existenznöte gebracht. Und in 15 Jahren wartet die nächste Herausforderung: „Emissionsfreie Großflugzeuge sind marktreif“, dekretiert die EU-Kommission.

Das ließe immerhin „E-Fuels“ als Kerosin-Ersatz zu. Denn als frühere Mathematiklehrerin konnte sich Adina Valean – anders als Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) – selbst ausrechnen, daß Flugzeuge und Hubschrauber mit tonnenschweren Batterien keine Massenverkehrsmittel sein können. Ob sich künftig auch Durchschnittsverdiener noch einen „CO2-bepreisten“ Urlaubsflug leisten können, steht aber auf einem ganz anderem Blatt. Immerhin verspricht die EU, „daß Mobilität für alle verfügbar und erschwinglich ist, ländliche und abgelegene Regionen angebunden bleiben und der Verkehrssektor gute soziale Bedingungen und attraktive Arbeitsplätze bietet“.

Stellen in der traditionellen Autoindustrie sind damit aber nicht gemeint, denn Punkt 14 verlangt eine neue Euro-7-Abgasnorm, die sicherstellen soll, daß „nur zukunftssichere emissionsarme Fahrzeuge auf den EU-Markt gelangen“. Sprich: Neue Pkws werden so aufwendig und teuer, daß sie sich nur „Besserverdiener“ leisten können. Die EU-Norm Euro-6d war schon das praktische Aus für Diesel-Kleinwagen.

Punkt 50 verlangt verschwurbelt eine EU-weite Maut und permanente Überwachung aller Autos – oder in Brüssel-Sprech: „intelligente, entfernungsbasierte Straßengebühren mit unterschiedlichen Tarifen je nach Fahrzeugtyp und Nutzungsdauer“, um „den Verkehr zu steuern und Staus zu reduzieren“ sowie „den Zielen des Europäischen Green Deal gerecht zu werden“.

Auch der Spritverbrauch soll über die ab 2021 in alle EU-Neuwagen eingebauten „On-Board Fuel Consumption Meter“ (OBFCM, JF 49/20) permanent überwacht werden: Punkt 52 verlangt „die harmonisierte Messung der Treibhausgasemissionen in Verkehr und Logistik“, um den jeweilgen „CO2-Fußabdruck“ zu ermitteln.

EU-Strategie für nachhaltige Mobilität: ec.europa.eu