© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

„Für das Recht aller Heimatvertriebenen“
Vor siebzig Jahren machte die „Aktion Helgoland“ auf die prekäre Situation der deutschen Nordseeinsel aufmerksam
Karlheinz Weißmannn

In der Nacht des 20. Dezember 1950 setzten zwei Heidelberger Studenten – René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld – zusammen mit zwei Journalisten von Cuxhaven in einem Kutter nach Helgoland über. Die Insel war zu diesem Zeitpunkt menschenleer. Die deutsche Militärbesatzung wurde nach der Kapitulation 1945 in Gefangenenlager auf dem Festland verbracht, die Zivilbevölkerung hatte man schon während des Krieges evakuiert. Zurückkehren durfte sie auf Weisung der britischen Militärverwaltung nicht. Denn ab 1947 war Helgoland Zielgebiet für Bombardierungen durch die Royal Air Force. Die Abwürfe dienten anfangs der Zerstörung der Bunker, danach Übungszwecken. Allerdings vernichtete man nicht nur die Gebäude und die Infrastruktur, sondern drohte die Insel selbst „zu versenken“.

Trotz massiver Proteste der deutschen Seite setzten die Briten das Bombardement mehr als zwei Jahre fort. Angesichts dessen war in Leudesdorff und Hatzfeld der Entschluß zu einem spektakulären Schritt gewachsen, mit dem sie die Weltöffentlichkeit auf das Schicksal Helgolands aufmerksam machen wollten. Nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten, hißten sie die Fahne der Europa-Bewegung mit dem grünen „E“ und die neue Bundesflagge Schwarz-Rot-Gold. Allerdings mußten Leudesdorff und Hatzfeld wegen der schlechten Wetterbedingungen schon nach zwei Tagen auf das Festland zurückkehren. Dort wurde mittlerweile nach ihnen gefahndet, was auch die Suche nach dem Schiff für eine zweite Überfahrt erschwerte. Erst am 27. Dezember gelang es Leudesdorff und Hatzfeld, jetzt in Begleitung von Helgoländern, wieder auf die Insel zu gelangen.

Obwohl das Interesse von Zeitungen und Rundfunk an dieser friedlichen „Besetzung“ mittlerweile gewachsen war, dürfte für die Wirkung letztlich ausschlaggebend gewesen sein, daß am 29. Dezember Mitglieder der „Deutschen Aktion“ (DA) die Insel erreichten. Die DA stand unter der Führung von Hubertus Prinz zu Löwenstein. Löwenstein, Hitler-Gegner, Emigrant, Heimkehrer in der „Stunde Null“, der unermüdlich das „andere Deutschland“ verteidigte, war in der Nachkriegszeit eine moralische Instanz. Was Leudesdorff und Hatzfeld bewogen hatte, ihm zuvorzukommen, obwohl sie von seinen Absichten zur friedlichen „Invasion“ Helgolands gewußt haben müssen, ist bis heute ungeklärt. Allerdings ordneten sie sich Löwenstein unter, nachdem er mit seinen Leuten – darunter ein US-Amerikaner und ein Schweizer – angekommen war.

Löwenstein hatte vor allem dafür gesorgt, daß die internationale Presse über die „Aktion Helgoland“ im Bilde war. Gerade weil er wußte, wie sehr das Vorgehen die britische Seite reizen mußte, tat er alles, um das Abgleiten in ein „Indianerspiel“ zu verhindern. Sein Handlungsmuster war der passive Widerstand Gandhis. Als Sprecher der „Invasoren“ verhandelte er deshalb mit einer britischen Delegation, die am 2. Januar 1951 in Begleitung von 15 westdeutschen Polizisten erschien. Löwenstein gelang es, eine schriftliche Erklärung zu erhalten, in der bei Fortsetzung der „Aktion“ Gewaltmaßnahmen angedroht wurden. Erst danach ließ er sich mit den übrigen Besetzern abführen, während die Polizisten respektvoll Spalier bildeten und aus ihrer Sympathie keinen Hehl machten.

Obwohl Großbritannien die Bombardierungen nach der Räumung wieder aufnahm, war die „Aktion Helgoland“ letztlich ein Erfolg. Eine wesentliche Ursache dafür lag in der Breite der Protestbewegung, die nun entstand. Im Januar 1951 verabschiedete der Bundestag einstimmig eine Erklärung, in der die Rückgabe der Insel gefordert wurde. Die britische Regierung suchte zwar den Eindruck zu vermitteln, daß sie die Kontrolle Helgolands aufrechterhalten wolle, sah sich aber letztlich zum Nachgeben gezwungen. Am 1. März 1952 wurde Helgoland Teil des Bundesgebietes. Damit war das entscheidende Ziel der „Aktion Helgoland“ erreicht. 

Schon Hatzfeld hatte sich von Anfang an entsprechend geäußert: „Egal, ob Helgoland ein Symbol ist, auf jeden Fall ist es deutscher Boden, der zu Deutschland gehört. Dies muß nicht nur gesagt, es muß demonstriert werden!“ Und Löwenstein ging noch einen Schritt weiter, als er schrieb: „Im Rechte der Helgoländer wird das Recht aller Heimatvertriebenen verteidigt“. Es sei insofern immer um mehr gegangen als die Rettung der Insel vor weiterer Zerstörung, „Helgoland“ sollte zur Chiffre werden für „die zwölf Millionen Deutschen, die aus den Provinzen östlich der Oder-Neiße-Linie ausgetrieben wurden“.

Typisch für Löwensteins idealistisches Politikverständnis war, daß er sogar die Überwindung des „Haßkomplexes“ auf der Siegerseite und eine deutsch-britische Verständigung erhoffte, die die Wiedervereinigung unter Einschluß der Ostgebiete vorbereiten würde. Damit sollte ein erster Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines antisowjetischen europäischen Blocks gemacht werden. Dessen Bestand war aus der Sicht Löwensteins allerdings nur zu sichern, wenn er auf dem Fundament der abendländischen Tradition erstand. Auch aus diesem Grund hatte er nach seiner Ankunft auf Helgoland ein großes Kreuz aus den Balken zerstörter Gebäude errichten lassen.