© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Sinkflug auch ohne Krise
Vorpommerns Wirtschaft seit 1919
Oliver Busch

Mit dem „Schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse begann Ende Oktober 1929 die größte Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts. Ihre Schockwellen erreichten in Windeseile auch den deutschen Arbeitsmarkt und trieben die Arbeitslosenzahlen in ungeahnte Höhen. Suchten im Januar 1929 noch 2,8 Millionen Menschen Arbeit, zählte man im Januar 1930 bereits 3,2 Millionen, ein Jahr später sogar 4,8 Millionen, bis dann im Sommer 1932 die Statistik jene legendären sechs Millionen Arbeitslose auswies, die die Weimarer Demokratie in den Abgrund zogen und Adolf Hitler den Weg zur Machtübernahme ebneten. 

Für den Regionalhistoriker Jan Berg zeichnet sich diese Kausalität zwischen Weltwirtschaftskrise und dem Scheitern Weimars in der pommerschen Provinz keineswegs so eindeutig ab. Denn seine Mikrostudie über den sich zwischen 1928 und 1931 vollziehenden „Sinkflug“ der Wirtschaft im Regierungsbezirk Stralsund registriert das in New York ausgelöste Beben nicht einmal als Hintergrundrauschen (Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, 3/2020). Wichtiger ist für ihn der Umstand, daß die „Goldenen 20er“, die nach der Hyperinflation von 1923 bis 1929 währende Erholungsphase des fragilen Weimarer Staates, allenfalls in „Babylon Berlin“, nicht jedoch in der Provinz stattfand. 

Schon gar nicht in Pommern, wo die Hälfte der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt war. An Bauern und Gutsherrn ging selbst die bescheidene Konsolidierung vorbei, die andere Branchen erlebten. Seit 1919 wirtschafteten die wenigsten Betriebe rentabel, obwohl die Weimarer Agrarpolitik die Schutzzollmauern des Kaiserreichs nicht schleifte, sondern verstärkte. 

1927 verschlimmerte eine „vollständige Mißernte“ die Misere, die umgehend Handel, Handwerk und Landmaschinenindustrie erfaßte. Die Zahl der Zwangsverwaltungen, Versteigerungen und Konkurse, die sich bereits zwischen 1924 und 1928 in manchen Amtsgerichtsbezirken versechsfacht hatte, schnellte weiter nach oben. Vermehrt wurde das dadurch angewachsene Arbeitslosenheer durch die Krise des Seebäder-Tourismus, die sich seit der verregneten Saison 1928 verstetigte. Auch ohne „Schwarzen Freitag“ tönte es daher im Januar 1931 aus dem Stralsunder Regierungspräsidium: „Vorpommerns Wirtschaft ist am Ende“. Daran habe auch der im Mai 1931 aufgespannte Rettungsschirm der „Osthilfe“ nichts mehr geändert.