© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Ländersache: Sachsen
Grabsteine für Goldbären
Paul Leonhard

Haribo machte mich mal froh, das ist leider nicht mehr so!“ So steht es, umgeben von bunt bemalten Steinchen mit Solidaritätsbekundungen, auf einer Tafel im westsächsischen 10.000-Einwohner-Städtchen Wilkau-Haßlau, der einzigen Produktionsstätte des Familienunternehmens in den neuen Bundesländern. Goldbären-Grabsteine zum 100jährigen Firmenjubiläum – einen schlechteren Zeitpunkt hätte sich der Weltmarktführer für Fruchtgummi und Lakritze für seine Ankündigung, das Werk zum Jahresende zu schließen, nicht aussuchen können. 

Der Freistaat Sachsen hat den Gummibärchenhersteller umgehend aus seiner Imagekampagne „So geht sächsisch“ verbannt, die Gewerkschaft ist sauer und Langzeitwerbeikone Thomas Gottschalk hat der Unternehmensführung die Leviten gelesen: „Wenn man sich auf die Fahne geschrieben hat: ‘Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso’, muß man das auch als Arbeitgeber ernst nehmen.“ Sogar der Bundestag befaßte sich in einer Aktuellen Stunde vergangene Woche mit dem Thema.

Daß der Konzern 150 Mitarbeiter zu Weihnachten vor die Tür setzen und diese mit Billigabfindungen abspeisen wolle, sei eine „Riesensauerei“, schimpfte Thomas Lißner von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG). Und die Mitarbeiter, denen die Arbeitslosigkeit droht, ließen zum Firmenjubiläum Luftballons in den Dezember-Himmel aufsteigen. „Hans, hilf uns“, lautete die Botschaft, die sich an jenen 2013 verstorbenen Hans Riegel richtete, der aus der DDR-Konkursmasse die sächsische Konkurrenz für das Familienunternehmen erworben hatte. Denn bis dahin waren in Wilkau-Haßlau vom VEB Süßwarenfabrik Wesa No-Name-Gummibärchen für den westdeutschen Markt produziert worden.

30 Jahre später will Haribo seine Produktion auf Grafschaft, Bonn, Solingen und Neuss konzentrieren. Nachdem 2018 das Werk in Mainbernheim bei Würzburg geschlossen wurde, paßt nun auch Wilkau-Haßlau nicht mehr ins Konzept. „Zur unternehmerischen Verantwortung gehört auch, unpopuläre Entscheidungen zu fällen, wenn es notwendig ist“, sagte Hans Guido Riegel, geschäftsführender Gesellschafter der Haribo-Gruppe und Neffe des Firmengründers, dem Handelsblatt. Das Werk entspreche nicht mehr den „Anforderungen an eine wirtschaftliche und effiziente Produktionsstruktur“. Weitere Investitionen wären „unverhältnismäßig“. Überdies verfüge der Standort nicht über „die notwendigen Entwicklungsmöglichkeiten“, und der corona-bedingte Lockdown habe auch beim Absatz Spuren hinterlassen: „Insgesamt fehlt uns ein Volumen, das der dreifachen Menge der Jahresproduktion des Werkes in Wilkau-Haßlau entspricht.“

Kein Happy-End, aber wenigstens einen Weihnachtsfrieden konnten Betriebsrat und Gewerkschaft für die Mitarbeiter erkämpfen: Statt der Entlassungen zum Jahresende stimmte die Geschäftsführung einer Beschäftigungsgarantie bis Ende März zu. Allerdings erst, nachdem sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) persönlich eingeschaltet hatte. In der Politik vor Ort heißt es, vier Unternehmen hätten Interesse gezeigt, eine Produktion am Standort fortzuführen. Angeblich soll eines davon Trolli sein, Deutschlands viertgrößter Süßwarenproduzent.