© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Milliardenfreigaben für Argentinien und Afrika
Internationaler Währungsfonds: 75 Jahre nach Bretton Woods befindet sich der Zahlungsbilanzretter auf Abwegen / Fehlanreize verstärken Mittelmißbrauch
Albrecht Rothacher

Ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in Bretton Woods (New Hampshire) von 44 Kriegsgegnern Deutschlands und Japans die künftige Weltwährungsordnung vereinbart: Leitwährung wurde der US-Dollar, zu dem die Währungen einen fixen Wechselkurs haben sollten. Der Goldpreis wurde auf 35 Dollar je Feinunze festgelegt. Zur Stabilisierung des Systems wurden am 27. Dezember 1945 in Washington die Weltbank zur Finanzierung des Wiederaufbaus und der Internationale Währungsfonds (IWF) zur Lösung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten gegründet.

Die Sowjetunion beteiligte sich nicht mehr daran. Australien, Italien und die Türkei kamen 1947 dazu. Deutschland und Japan wurden 1952 IWF-Mitglieder. Sie sind heute mit einem Kapitalanteil von 5,6 bzw. 6,48 Prozent hinter den USA (17,45 Prozent) die Nummer vier und zwei. Rumänien trat als erstes Ostblockland 1972 bei – aber da hatte der IWF als Garant stabiler Wechselkurse bereits ausgedient: Am 18. März 1968 mußte der US-Kongreß die interne Golddeckung des Dollars angesichts der Kriegsausgaben und des Handelsbilanzdefizits aufgeben (JF 11/18). Vor allem Frankreich löste die Greenbacks für seine Exporterlöse regelmäßig in Gold ein.

Im August 1971 wurde die Konvertibilität in Gold ganz aufgehoben. 1973 kamen flexible Wechselkurse – D-Mark und Yen werteten enorm auf. Der IWF wandelte sich zum makroökonomischen Berater und zum Kreditgeber letzter Instanz. Mit seinen Zahlungsbilanzhilfen flankiert er das Welthandelssystem, damit Länder in akuten Krisen nicht zu protektionistischen Maßnahmen greifen müssen. Es war dabei Grundkonsens, daß im Gegenzug harte Reformauflagen notwendig sind, um eine IWF-Dauerabhängigkeit zu verhindern.

Umstritten ist die langfristige wirtschaftspolitische Bilanz des IWF-Wirkens. So verlief die Transformation Mittel- und Osteuropas nach 1990 erfolgreich und war dort nachhaltig, wo sich marktwirtschaftlich-rechtsstaatliche Strukturen etablieren konnten. Auch viele der südostasiatischen „Tigerstaaten“ erholten sich rasch nach der Asienkrise 1997/98. Die meisten südamerikanischen Länder blieben trotz unzähliger IWF-Programme in Krisenzyklen gefangen. Sie sind, wie die in den sechziger Jahren beigetretenen afrikanischen Länder, IWF-Dauerkunden.

„Griechenland-Rettung“ als Präzedenzfall

Die Rückzahlungsfähigkeit seiner Schuldner sichert sich der IWF durch begrenzte Fristen, limitierten Mitteleinsatz, die Berücksichtigung der Schuldentragfähigkeit und durch Reformvereinbarungen. Hier zeichnet sich jedoch ein Wandel ab, bei der die „Griechenland-Rettung“ als Präzedenzfall gelten kann. Damals beteiligte sich der IWF – trotz interner Bedenken – mit dem Vielfachen der üblichen Zuteilungsquoten. Der vergebliche Versuch einer forcierten internen Abwertung durch eine Mischung aus halbherzigen Reformen und Sparmaßnahmen mündete in einen Wirtschaftseinbruch, der denjenigen der dreißiger Jahre weit übertraf.

Ein Jahrzehnt später verharrt die griechische Wirtschaftsleistung weiter ein Viertel unter dem Vorkrisenniveau. Unbeirrt steigerte der IWF 2018 bei einem weiteren Serienbankrotteur seinen Einsatz: Argentinien erhielt eine Kreditlinie von 50 Milliarden Dollar. Ein Jahr später gestand sich der IWF sein Scheitern ein – doch da waren bereits 80 Prozent der Kreditvolumina abgeflossen. Während das griechische Problem über die EZB-Geldpolitik und die Schuldenvergemeinschaftung „europäisiert“ wurde, ist der IWF in Argentinien gezwungen, mit der linksperonistischen Regierung ein Anschlußprogramm zu vereinbaren. Andernfalls drohen dem IWF drastische Abschreibungen, die seine finanziellen Risikopuffer überschreiten würden.

Die Risikobereitschaft geht zum Großteil auf die IWF-Anteilseigner zurück, die damit regionale Großprojekte zu finanzieren suchen. Der Trend zeigt einen „keynesianischen“ Wandels. Die 2019 als Nachfolgerin von Christine Lagarde ins Amt gekommene IWF-Chefin, die frühere bulgarische EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa, gibt die Devise aus, daß Kreditnehmer so schnell und so viel Geld wie möglich ausgeben sollten. Dementsprechend wurden die Zugangshöhen der Notfallprogramme drastisch ausgeweitet.

Auf der anderen Seite verzichtet der IWF fast vollständig auf die bislang üblichen Kontrollmöglichkeiten. Diese Blauäugigkeit verwundert, da der Löwenanteil der Corona-Kredite (bislang etwa 30 Milliarden Dollar) als direkte Budgethilfen an afrikanische und zentralasiatische Länder fließt und mithin den weltweit korruptesten Staats- und Regierungsapparaten zugutkommt. Der IWF riskiert damit, daß sich diese Länder nach dem Versickern der Milliardenhilfen in einer erneuten Schuldenfalle wiederfinden.

Der IWF setzt damit auch Fehlanreize für Mittelmißbrauch und Reformverweigerung, was auf langfristig destabilisierend wirkt. Es wäre daher zu wünschen, daß sich der IWF zu seinem Jubiläum allmählich wieder auf seine Rolle als „ungeliebter“ Reform-Antreiber besinnt und darüber erneut zu einer verläßlichen Säule eines stabilen und freien Welthandelssystems wird.

Global Financial Stability Report 2020: www.imf.org