© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Sie folgten einem wandernden Stern
Gläubige Verehrung bis in die Gegenwart: Zum Mysterium der aus dem Orient stammenden Heiligen Drei Könige
Karlheinz Weißmann

In meiner Kindheit war das niedersächsische Dorf normalerweise ein evangelisches. Katholiken kamen vor, aber als Ausnahme von der Regel. Irgendwann nach Neujahr standen an ihren Häusern oder Wohnungen die Buchstaben „C“, „M“ und „B“. Von deren Bedeutung wußten die Evangelischen im Mittel so wenig wie vom Fest der Heiligen Drei Könige am 6. Januar. Natürlich sah man die Bezeichnung im Kalender und die entsprechenden Figuren an der Krippe stehen. Doch weiter ging das Verständnis nicht.

Eine Ursache dafür war Luthers Bibelübersetzung, die im Matthäus-Evangelium nur von einer unbestimmten Zahl der „Weisen aus dem Morgenlande“ sprach. Eine andere lag darin, daß der auf den 6. Januar festgelegte Epiphanias-Tag zwar einen wichtigen Einschnitt im Lauf des Kirchenjahres markierte, das aber für das durchschnittliche Gemeindeglied kaum von Bedeutung war.

Zudem hatten Reformation und Rationalismus gründlich mit dem christlichen Brauchtum aufgeräumt. Dem war auch ein guter Teil jener Sitten zum Opfer gefallen, die sich an Jahreswechsel und „Rauhnächte“, die „geweihten Nächte“ zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar, knüpften. Anders im katholischen Teil Deutschlands. In Teilen Bayerns wurde der 6. Januar traditionell sogar „Dritter Heiliger Abend“ genannt und auf dieselbe Weise abgeschlossen wie man den ersten Heiligen Abend begonnen hatte: durch das Ausräuchern des Hauses, um alle bösen Geister zu vertreiben. Die uralte Vorstellung, daß „zwischen den Jahren“ die übelwollenden Mächte besonders nahe sind, erklärt auch die Bedeutung des CMB, mit dem sie an der Türschwelle aufgehalten werden sollten. Denn es steht eigentlich für die Segensformel „Jesus Christus mansionem benedicat“ – „Jesus Christus schütze das Haus“ und wurde früher auch zu anderen Zeiten als Dreikönig und zu anderen Gelegenheiten benutzt, etwa als Schutzzeichen, das man in das Fell von Tieren schor.

Die Verknüpfung des CMB mit den Namen „Caspar“, „Melchior“ und „Balthasar“ ist jedenfalls sekundär. Sie kommen in der Bibel sowenig vor wie Könige im Stall zu Bethlehem. Erst im 6. Jahrhundert traten sie auf und erklären sich wahrscheinlich aus der Verballhornung des altpersischen ghaz bar für „Schatzhüter“, des hebräischen melechi or für „mein König ist Licht“ und belsazar für „Gott schütze sein Leben“.

In jedem Fall verstärkten diese Namen den Eindruck des Exotischen, der sich naturgemäß an den Gedanken knüpfte, es seien „Weise“ oder – wie man aufgrund des griechischen Wortes magoi bei Matthäus übersetzen darf – „Magier“ aus dem Mittleren Osten zur Geburt Jesu gekommen, indem sie einem wandernden Stern folgten, der sie zu einem neuen König führen sollte.

Der Verweis auf die Herkunft erklärt auch, warum die drei in frühen bildlichen Darstellungen, etwa dem berühmten Mosaik der Kirche Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna, persische Kleidung trugen: spitze Schuhe, enganliegende Beinkleider und eine rote phrygische Mütze auf dem Kopf. In der Antike galt Persien wie der Orient überhaupt als Heimat des Wissens und als Ursprungsort der Astrologie. Die von den Männern dem Christuskind dargebotenen Geschenke – Matthäus spricht von Gold, Weihrauch und Myrrhe – spielten sogar eine Rolle bei der Inthronisation iranischer Herrscher.

Jedenfalls hat die im Neuen Testament vermerkte Dreizahl der Präsente dazu geführt, daß die eigentlich unbestimmte Menge der „Weisen“ auf drei festgelegt wurde. Gleichzeitig war die Drei aber auch eine „starke“ Zahl von hoher symbolischer Bedeutung. Sie stand für das in sich gegliederte Ganze. Und so repräsentierten die Männer auf dem erwähnten Mosaik auch die Jugend, die Blüte und das Alter.

Diese Auffassung der Heiligen Drei Könige war sehr verbreitet, aber nicht ein für allemal fixiert. Es gab auch weiter Bilder, die prächtig gekleidete, würdige Herren zeigten. Außerdem war im 8. Jahrhundert die Idee hinzugekommen, daß es sich nicht oder nicht nur um Vertreter der Altersstufen, sondern um Repräsentanten der Menschheit handelte, erkennbar als Asiat, Europäer und Afrikaner, letzterer – Melchior – nach und nach mit schwarzer Hautfarbe gezeigt.

Auch diese Idee hatte nichts mit der biblischen Überlieferung zu tun, aber viel mit der Wirkung der künstlerischen oder spielerischen Darstellung dessen, was man gemeinhin als „Weihnachtsgeschichte“ betrachtet. Dabei ist der dem Matthäus, seinem Herkommen nach wohl ein gelehrter Jude, wichtige Gedanke, daß nicht nur seinen früheren Glaubensgenossen, sondern eben auch den Heiden die Frohe Botschaft verkündet wurde, nach und nach zurückgetreten. Im Vordergrund stand nun der faszinierende Gedanke, daß das Kind auf dem Stroh, in ärmliche Windeln gewickelt, doch für die Wissenden schon als Herr der Welt erkennbar war, und daß selbst Könige vor ihm knieten.

Obwohl die Heiligen Drei Könige außerordentlich populär wurden, hat die katholische Kirche niemals ihre Kanonisierung vollzogen. Ein Sachverhalt, der überrascht, angesichts der Tatsache, daß ihre Reliquien im prunkvollen goldenen Schrein des Kölner Doms stehen, der seit dem Mittelalter ein Anziehungsort für Pilger aus ganz Europa war.

Der besondere Rang zeigte sich auch daran, daß nur Köln neben Jerusalem und Rom als „Heilige Stadt“ bezeichnet wurde: „Sancta Colonia Dei Gratia Romanae Ecclesiae Fidelis Filia“ – „Heiliges Köln von Gottes Gnaden, der römischen Kirche getreue Tochter“. Trotzdem wollte die Kirche von „heiligen Königen“ nichts wissen. Entscheidend dafür war der alte Streit über die Frage, auf welchem Weg der christliche Herrscher zum Herrscher werde. Nach kirchlicher Rechtsauffassung kam die Erhebung durch die Salbung zustande, die ein Bischof – im Falle des Kaisers der Papst – zu vollziehen hatte. Damit verbunden war eine faktische Unterordnung der weltlichen unter die geistliche Seite.

Die nahm die weltliche Seite nur ungern hin. Weshalb der mächtige Staufer Friedrich Barbarossa die Gewichte nach Kräften zu verschieben und klarzustellen suchte, daß er als Kaiser nicht durch den Papst, sondern durch Gott selbst eingesetzt sei, gleich dem legendären Priesterkönig Melchisedek des Alten Testaments. Bezeichnend auch, daß er sein Herrschaftsgebiet seit der Mitte des 12. Jahrhunderts „Sacrum Imperium“ – „Heiliges Reich“ nennen ließ und die Heiligsprechung Karls des Großen betreiben ließ (die die Kirche zugestand, dann aber, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz, zurückzog). Eine entscheidende Rolle spielte bei alledem Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln und Kanzler Friedrichs. Er war es, der 1164 die Reliquien der Heiligen Drei Könige als Kriegsbeute aus dem besiegten Mailand nach Norden bringen ließ. Den Weg hatte er wohl überlegt, denn er führte durch die drei Teilreiche – (Nord-)Italien, Burgund und Deutschland –, die zusammen das Imperium bildeten, bis nach Köln, wo sie im Vorgängerbau des Doms aufbewahrt wurden.

Ihre Aufgabe als Muster eines von der Kirche unabhängigen, „heiligen Königtums“ haben die Heiligen Drei Könige nicht erfüllt. Dazu war die Glanzzeit der Staufer zu kurz. Aber die Überreste der Männer, die Caspar, Melchior und Balthasar genannt werden, blieben Gegenstand gläubiger Verehrung bis in die Gegenwart. Selbstverständlich hat auch da die Auszehrung christlicher Frömmigkeit Spuren hinterlassen. Aber es wird immer ein gewisses Mysterium an diesen Gestalten haften, ganz gleich, wie oberflächlich das Sternsingen noch werden mag, wie brav die Geistlichkeit sich politisch-korrekten Erwägungen über das Aussehen von Mohrenkönigen beugt und wie weit die Geschlechtergerechtigkeit bei der Umbenennung des 6. Januar in „Drei König:innentag“ kommt.