© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Noch zum Thema Rechts-Links: Der Kavalier zum Puritaner: „Wir haben die Sünden der Menschen, das Saufen und die Hurerei. Ihr aber habt die Sünden der Teufel, den Hochmut und die Selbstgerechtigkeit.“

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Reinhard Müller (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Dezember) hat die Regierung Ungarns attackiert. Zwar hält Müller die in die Verfassung des Landes aufgenommene Feststellung, daß der Vater eines Kindes ein Mann, die Mutter eines Kindes eine Frau sei, für annehmbar und erachtet das Gendern der Sprache nicht als zwingend notwendig. Aber die Diskriminierung von Transmenschen sei so inakzeptabel wie die Mißachtung von Minderheitenrechten, der Zugriff der Regierung auf Medien oder die Gefährdung der Gewaltenteilung. Beginnt man mit dem letzten Punkt, wäre vielleicht anzuraten, etwas vorsichtiger mit Steinen zu hantieren, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Das heißt, man könnte an Müller und andere Verteidiger des besten aller denkbaren Staaten durchaus die Frage stellen, wie es bei uns mit der Gewaltenteilung steht, da die Exekutive immer wieder dazu neigt, die Legislative zu übergehen, die Zentrale die Länder düpiert, die Spitze der Judikative von der Legislative bestimmt wird, die Parteien die öffentliche Verwaltung fast vollständig durchdrungen haben, nicht zu reden vom Bildungswesen, und die einflußreichsten Medien entweder direkt unter ihrer Kontrolle stehen oder mittelbar abhängig gemacht wurden (zum Beispiel durch Geldzahlungen an „Qualitätszeitungen“, von denen sicher auch das Organ profitiert, für das Reinhard Müller schreibt). Dann wäre weiter darüber nachzudenken, ob die Väter des Grundgesetzes, auf das sich der Verfasser beruft, wirklich etwas so Absurdes wie die „Ehe für alle“ und die offizielle Förderung von LGBQT gewünscht hätten, nicht zu reden von Kindstötung im Mutterleib, Masseneinwanderung und Abschaffung des eigenen Volkes. Womit man bei der Art und Weise ankommt, in der Müller mit den Begriffen „christlich“ und „konservativ“ arbeitet. Kurz und knapp: Wenn die irgendeinen Sinn haben sollen, dann bei Viktor Orbán, bei Müller nicht.

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Die La Leche League (LLL) ist eine als gemeinnützig anerkannte Nichtregierungsorganisation, die sich für das Stillen von Kindern einsetzt. Allerdings nicht nur durch Mütter, sondern durch jeden, der sich berufen sieht. Das heißt auch durch Transsexuelle weiblichen biologischen Geschlechts, die sich die Brüste haben amputieren lassen, durch Transsexuelle männlichen Geschlechts und Männer, die unter normalen Umständen keine Milch produzieren können. Dem will man durch Operationen oder die Gabe von Medikamenten abhelfen, um auch diese Gerechtigkeitslücke zu schließen.

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Zwischen Glauben und Spinnen gibt es eine Grenze. Allerdings eine fließende.

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Susan Neiman (Direktorin des Einstein-Forums Potsdam) hat behauptet, daß die Einladung von Hannah Arendt zu einer öffentlichen Debatte in der Bundesrepublik heute unmöglich wäre. Auch wenn es schwerfällt, stimme ich zu. Tatsächlich würden bestimmte Aussagen Arendts über das Judentum heute zweifelsfrei als antisemitisch gewertet, die über die Bedeutung der Rasse als faschistisch, die über den europäischen Kolonialismus als verharmlosend, die über die Ursachen des Totalitarismus als reaktionär und die über die Homosexualität als homophob.

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Bezeichnend, wie häufig Menschen in diesem Zeitalter der Wurstigkeit das Wörtchen „genau“ in ihren Redeflüssen verteilen.

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Burkard Dregger, der Sohn Alfred Dreggers, hat erklärt, daß die politischen Überzeugungen, die sein Vater weiland vertrat, nichts mit denen der AfD von heute zu tun haben. Das überrascht insofern, als den Älteren unter uns noch die wütenden Attacken auf Dregger als Frontmann der „Stahlhelm-Fraktion“ und „Rechtsausleger“ der CDU/CSU erinnerlich sind, dem man von linker Seite immer wieder die Mitgliedschaft in der NSDAP und den Wehrmachtsdienstgrad vorhielt, während er die Vergangenheitsbewältigung als Irrtum und die „nationale Regeneration“ als erforderlich bezeichnete, die Ehre des deutschen Soldaten verteidigte, den Angriff auf Rußland nicht als solchen, sondern deshalb als Fehler betrachtete, weil er kein Befreiungskrieg für die unterdrückten Völker in Stalins Kerker war. Zuzugeben ist aber, daß Dregger senior immer auch die Funktion erfüllte, die Konservativen bei der Stange zu halten und dazu neigte, im Zweifel der Parteiräson oder dem Wunsch nach Erhalt seines Mandats zu folgen. Weshalb wir uns nicht ganz gegen die Möglichkeit sperren, daß er auch die Flexibilität aufgebracht hätte, die ihm sein Sohn zutraut, um die wachsende Buntheit der Einwohnerschar zu begrüßen und „den Begriff der Nation in die Welt der Globalisierung“ zu übertragen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 8. Januar in der JF-Ausgabe 2/21.