© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Kulturkampf an Elite-Schule
Löschkultur:Nach der Entlassung eines Lehrers tobt die Schlacht, wie „progressiv“ das englische Eton College sein soll
Julian Schneider

Der Rauswurf des Englischlehrers Will Knowland aus dem Eton College wegen eines gender-kritischen Vortrags beschäftigt nun schon seit Wochen die britische Presse. Eton, gegründet 1440, ist das Eliten-College des Königreichs schlechthin: ein nationales Symbol, lange Zeit eine Bastion konservativer Erziehung, für viele Linke ein Feindbild, weil es die traditionellen Eliten verkörpert. Die Mächtigen und Reichen, auch die Royals schicken ihre Söhne dorthin (bei regulären Schulgebühren von 42.500 Pfund im Jahr). Zwanzig Premierminister des Landes haben in dem Jungeninternat ihre schulische Ausbildung genossen, zuletzt David Cameron und Boris Johnson. Etwa 1.300 Schüler besuchen das Internat mit seinen rötlichen Backsteinbauten aus der Tudor-Zeit, wenige Gehminuten vom Schloß Windsor entfernt.

Nun ist die Stimmung aufgewühlt. Beugt sich auch das Eton-College vor der „Woke“-Welle eines politisch korrekten neuen Gender-Zeitgeists, wie einige Old Etonians kritisieren? Am Eingang des Colleges flattert jetzt gelegentlich eine Regenbogenfahne. Über den Rektor (Headmaster) Simon Henderson heißt es, er wolle die traditionsreiche Institution „progressiv“ ausrichten und dränge Kritiker des neuen, fortschrittlichen Kurses brutal an den Rand.

Auslöser des Streits, der jetzt landesweit die Gemüter erhitzt, ist die Entlassung des Englischlehrers Knowland aufgrund eines Videovortrags mit dem Titel „Das Patriarchatsparadox“. Der Vortrag war ursprünglich für ein Debattenformat in den obersten Klassen vorgesehen, Schüler sollen hier Pro- oder Contra-Positionen einnehmen. Knowland argumentiert, daß sich Männer und Frauen durch biologische, verhaltenswissenschaftlich erwiesene Unterschiede auszeichnen und daß daraus unterschiedliche Rollen folgen. Der Mann sei in der Evolution der Beschützer, Krieger gewesen, das stecke bis heute in Männern drin.

In dem Vortrag wendet sich der Pädagoge gegen die Bezeichnung „toxische Männlichkeit“, gegen radikale Gender-Theorien etwa von Judith Butler und gegen Radikalfeministinnen wie Andrea Dworkin, die die Kernfamilie zerstören wollen. Knowlands Videovortrag, der mehrere Dutzend Bücher, Artikel und wissenschaftliche Studien zitiert, ist dabei mit allerlei Bildern, teils in etwas kitschiger Ästhetik, mit Fotos und Videos von Soldaten, Wrestlern und Sportlern (Knowland ist selbst Gewichtheber), und sogar Clips aus dem Hollywood-Film „300“ über den Kampf der Spartaner gegen die Perser garniert. Inzwischen haben mehr als hunderttausend Leute das Video auf Youtube gesehen.

Regenbogenflagge über dem Eingang aufgehängt

Eton-Schuldirektor Simon Henderson gefiel der Vortrag nicht, er forderte Knowland auf, ihn zu löschen. Als der sich weigerte, folgte die Entlassung – wegen „groben Fehlverhaltens“. Seitdem tobt ein offener Kampf. Knowland sagt, in Eton sei die Redefreiheit in Gefahr. Der jugendlich wirkende Lehrer, der seit neun Jahren in Eton Englisch unterrichtete und selbst fünf Kinder hat, scheint bei seinen Schülern sehr beliebt gewesen zu sein. Mehr als 2.700 ehemalige und aktuelle „Etonians“ haben einen Solidaritätsbrief für den geschaßten Lehrer unterzeichnet. Sie fordern, daß die Schule eine offene und freie Debatte zulasse. Einige Old Etonians drohten, sie würden der Schule nicht mehr spenden.

In einem Solidaritätsfonds für den Lehrer kamen in kurzer Zeit mehr als 60.000 Pfund für einen Rechtsstreit zusammen. Die „Free Speech Union“ (JF 49/20), deren Mitglied Knowland ist, wird für ihn vor Gericht ziehen, der entlassene Lehrer versucht auch ans Parlament zu appellieren. Eltern haben sich an Zeitungen gewandt mit ihrer Sorge, daß ihre Söhne an dem teuren College eine „progressive Indoktrination“ erhalten. Der linke „Woke“-Zeitgeist ziehe in die altehrwürdigen Hallen ein.

Tatsächlich ist unter dem seit 2015 amtierenden Schulleiter Henderson (Spitzname „Trendy Hendy“) seit einigen Jahren das Bestreben unübersehbar, das traditionelle Internat auf „progressiv“ umzupolen. Dazu gehöre auch, daß man offen für „Transsexuelle“ sei, sagte der 44jährige Schulleiter dem Guardian, obwohl so ein Fall noch nicht vorgekommen sei. Die Schule soll sich dem Zeitgeist öffnen. Eton solle nicht mehr „ein altmodischer Pfeiler der sozialen und männlichen Elite“ des Landes sein, umschreibt ein Vertrauter von Henderson dessen Mission. Im Führungsteam ernannte er Hailz Osborne zur „Direktorin für Inklusions-Erziehung“.

Ihr größter Stolz, hat sie über sich selbst gesagt, sei gewesen, die „Pride“-Regenbogenflagge der LGBT-Bewegung am Fahnenmast über dem Eingang von Eton aufgehängt zu haben. Ein eher dubioser linker Sexual-Aufklärungsverein namens Sexplain UK wurde eingeladen, mit 13- und 14jährigen Schülern einen „kreativen Workshop“ über „Sex Positivity, Feminism and Pornography“ abzuhalten. Sie sollten darin auch ein „Coming out“ üben. Erstaunlicherweise gibt es an dem reinen Jungeninternat eine FemSoc (Feminism Society), die progressive Redner einlädt.

Ehemalige und aktuelle Schüler und Lehrer berichten, daß sich ein progressiv-repressives Klima an der Schule ausbreite. Wer es wagt, den Kurs von Henderson zu kritisieren, bekomme Ärger. Der Theologe Luke Martin, der in der berühmten Schulkapelle predigt, trat von einem schulischen Posten zurück. Öffentlich kritisierte er, es herrsche eine nur vermeintliche Atmosphäre der Toleranz; der neuen, angeblich progressiven Ideologie dürfe man nicht mehr widersprechen. Das erinnere ihn an religiösen Fanatismus.

So ist jetzt auch in Eton die Regenbogen-Ideologie angekommen, die weitere Teile des Bildungssystems und der Universitäten fest im Griff hat. Eine interne Kommission in Eton hat Mitte Dezember über eine Beschwerde des entlassenen Lehrers entschieden und die Entlassung bestätigt. Im anderen Fall hätte der Schuldirektor wohl seinen Hut nehmen müssen. Die Institution Eton ist aber schon jetzt schwer beschädigt.