© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Blick in die Medien
Ideologisches Wünschdirwas
Gil Barkei

London zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Violet Bridgerton will ihre acht Kinder standesgemäß unter die Haube bringen, doch die Publikationen einer angeblichen Lady Whistledown über pikante Details aus der Oberschicht stellen die Pläne wie die feine Gesellschaft auf den Kopf.

So seicht die am 25. Dezember auf Netflix startende US-Serie „Bridgerton“ vor sich hinplätschert, so stark unterstreicht sie mit ihrer People-of-Colour-Besetzung die voranschreitende Politisierung des Streamingdienstes. Schwarze, asiatische und orientalische Dukes und Duchesses in edlen Roben an der Themse während der Regency-Ära mögen vielleicht zeitgeistige Zuschauerherzen höherschlagen lassen, sind aber letztlich nur eines: unrealistisch. 

Die Historie verkommt zur Projektionsfläche für ein ideologisches Wünschdirwas, das die Geschichte und vergangene Lebensrealitäten grotesk verfälscht.

Bereits der auf Feminismus getrimmte Netflix-Film „Enola Holmes“ über die vermeintliche jüngere Schwester des berühmten Detektivs wartete neben Frauenuntergrundbünden mit schwarzen Judolehrerinnen und einem Straßenbild auf, das in puncto Diversität mehr ans heutige London erinnert.

Holocaust-Überlebende und Ex-Prostituierte nimmt schwarzes Waisenkind auf. 

Im Internet macht derweil ein Meme die Runde, das die plumpe filmische Geschichtsverdrehung aufs Korn nimmt. Es zeigt eine verschleierte arabische Frau in einem Rollstuhl mit Regenbogenfahne, die eine EU-Flagge in eine Mondlandschaft steckt. Dazu die Überschrift „Demnächst bei Netflix: Die Mondlandung“. 

Wer dies für zu übertrieben hält, sollte folgende Netflix-Produktion betrachten: In „Du hast das Leben vor dir“ spielt die 86jährige Sophia Loren eine Holocaust-Überlebende und ehemalige Prostituierte, die einen moslemischen Waisenjungen aus dem Senegal bei sich aufnimmt. Bei so viel märchengleichem Haltungskitsch darf eine transsexuelle alleinerziehende Nachbarin natürlich nicht fehlen.