© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Der ewige Mythos vom Nazigold
Zwei Briten gehen den Spuren der 1945 in die Fänge der Alliierten geratenen Goldreserven der Reichsbank nach
Bruno Bandulet

Das vorliegende Buch hat eine lange Geschichte, erschien erstmals 1984 in England und ist Produkt eines investigativen Journalismus, der sich auf die Ressourcen der Londoner Wochenzeitung Sunday Times stützen konnte. Eine (aktualisierte) deutsche Ausgabe mußte bis zum November dieses Jahres warten. Sie bearbeitet ein Thema und einen Mythos, der seit Jahrzehnten auch durch deutsche Gazetten geistert. Zuletzt meldete der Münchner Merkur am 14. Oktober, ein 54jähriger Mann suche in Oberbayern mit einer Schatzkarte nach Nazigold. Er glaube, nahe dran zu sein am „Mittenwald-Schatz“. Der Schatzsucher namens Manuel Brückl, von Beruf Filmemacher und Kameramann, ist derselbe, der die Neuauflage von „Nazigold“ für den Finanzbuch- Verlag lektoriert hat.

Aber was heißt schon Nazigold? Hinter dem Begriff, der sich schon längst international etabliert hat, verbergen sich die vor 1933 und vor dem Kriegsausbruch legal erworbenen Goldreserven der Deutschen Reichsbank ebenso wie die in den besetzten Ländern konfiszierten staatlichen Goldreserven, dazu das Raubgold der SS und kleinere Bestände wie das sogenannte „Ribbentrop-Gold“ des Auswärtigen Amtes.

Mehr als 90 Prozent der deutschen Goldreserven, Barren und Münzen im Gewicht von 250 Tonnen, wurden vor Kriegsende von Berlin nach Thüringen geschafft und dort in einem Kali-Bergwerk in Merkers eingelagert. Am 4. April 1945 marschierten dort die Amerikaner ein. Am 7. April betraten sie das Bergwerk, fuhren 640 Meter in die Tiefe und stießen in ein Gewölbe vor, in dem kniehoch 7.000 numerierte Säcke lagerten. Sie fanden Gold, Dollar-Banknoten und andere Devisen, Edelsteine und wertvollste Gemälde aus 15 deutschen Museen, die vor den Bombenangriffen in Sicherheit gebracht worden waren. Das Bergwerk einschließlich der ehemaligen Schatzkammer ist bis heute zugänglich. Es ist einen Besuch wert.

Große Schiebereien und Diebstähle der US-Besatzer

Sicher ist, daß der Schatz von Merkers von der US-Armee unter schärfster Bewachung in das unzerstörte Gebäude der Reichsbank in Frankfurt am Main transportiert wurde, wo das „Federal Exchange Deposit“ (FED) eingerichtet wurde, eine Art von Sammelstelle für Wertgegenstände, die an ihre früheren Eigentümer zurückgegeben werden sollten. Wieviel und an wen später verteilt wurde, läßt sich nicht mehr vollständig ermitteln. Es ist auch nicht das eigentliche Thema des Buches. Fest steht nur, daß die Deutsche Bundesbank über keinerlei Goldreserven verfügte, als sie 1957 gegründet wurde. 

Die beiden Autoren schildern vielmehr in großer Ausführlichkeit das Schicksal der Goldbarren, Münzen und Devisen, die vor Kriegsende nicht nach Merkers, sondern nach Mittenwald verbracht, dort in die Obhut der Gebirgsjäger gegeben und von diesen in verschiedenen Verstecken in der Nähe von Mittenwald und des Walchensees vergraben wurden. Bald rückten die Amerikaner ein, fanden und verhörten die beteiligten Wehrmachtssoldaten und ließen sie das Gold nach und nach wieder ausgraben. Alles hätte an das FED in Frankfurt übergeben werden müssen, nur verschwand ein beträchtlicher Teil davon unter bis heute ungeklärten Umständen, die noch dazu von den amerikanischen Behörden vertuscht wurden. Das Gold wurde sozusagen noch einmal „geraubt“, und zwar von korrupten Angehörigen der US Army. 

Während die mühselige Suche nach den Goldverstecken in den Bayerischen Alpen zu einer manchmal verwirrenden Erzählung gerät, die die Geduld des Lesers strapaziert, gelingt den Autoren über große Teile des Buches eine atmosphärisch dichte, gut geschriebene Schilderung der Zustände im besiegten Deutschland. So, wenn sie die Verlotterung der Besatzungssoldaten im äußerst beliebten „Sündenpfuhl“ Garmisch-Partenkirchen anprangern, wo „über zwei ganze Jahre seit Ende des Krieges (...) jede nur vorstellbare Straftat begangen wurde“. 

Oder wenn sie von den Schwarzmarktgeschäften erzählen, an denen sogar die Frau des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay beteiligt war, die ihre Beute mit dem persönlichen Flugzeug des Generals in die Staaten fliegen ließ. Oder wenn nebenbei erwähnt wird, daß ein Offizier der Militärregierung von Bayern die gesamte Briefmarkensammlung der Reichspost „mitgehen“ ließ. In Kapitel 14 („Der moralische Kollaps einer großen Armee“) ziehen die Autoren das Fazit: „Die amerikanische Militärregierung zog nicht nur Spinner und Exzentriker an, sondern auch jede Menge Gauner und Halunken. Sie gehörten zu denen, die ihre Privilegien und ihre Macht in Deutschland skrupellos ausnutzten und für einige der ungeheuerlichsten Schiebereien und größten Diebstähle der Geschichte verantwortlich waren.“

Einen wirklich abschließenden Bericht können auch die beiden Briten nach ihren überaus gründlichen Recherchen nicht vorlegen. Manches bleibt offen, und das sagen sie auch. Vielleicht bergen die Alpen doch noch unentdeckte Goldverstecke. Der Mythos lebt, zu Ende ist die Geschichte nicht.






Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der „Welt“ und ist Herausgeber des „Deutschland-Briefs“ (erscheint in „eigentümlich frei“). 2016 veröffentlichte er das Buch „Beuteland. Die systematische Plünderung Deutschlands seit 1945“

Ian Sayer, Douglas Botting:  Nazi-Gold. Das Geheimnis um das geraubte Gold der Deutschen Reichsbank. FinanzBuchVerlag, München 2020, gebunden, 400 Seiten, 26,99 Euro