© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Den Imperialismus mäßigen
Yoram Hazony lobt den Nationalismus als Bastion gegen eine universalistische Beglückungsdiktatur
Artur Abramovych

Den meisten Lesern dieser Zeitung dürfte es nicht entgangen sein, daß der Nationalismus grundsätzlich keinen allzu guten Leumund genießt und sich ein jeder, der heutzutage zu ihm zu stehen wagt, zu rechtfertigen hat. Dieser äußere Druck geht so weit, daß selbst einige Vertreter des rechten Lagers es inzwischen vorziehen, auf den Begriff des Nationalismus zu verzichten und stattdessen unverfänglichere Begriffe wie den des Patriotismus verwenden.

Warum ein solches Verhalten nicht zielführend ist und man sich des Begriffs nicht zu schämen braucht, hat in seiner 2018 erschienenen und vielfach ausgezeichneten Abhandlung „The Virtue of Nationalism“ der israelisch-amerikanische Religionshistoriker Yoram Hazony aufzuzeigen unternommen. Seit einigen Wochen liegt sie endlich auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Nationalismus als Tugend“ vor.

Der 1964 in Rehovot (Bezirk Tel Aviv) geborene Princeton-Absolvent Hazony war seit jeher umtriebig auch auf der realpolitischen Bühne. Zunächst fiel er auf nationaler Ebene als Redenschreiber Benjamin Netanjahus sowie Begründer des Shalem College in Jerusalem auf, einer konservativen Bildungsanstalt, die von 1996 bis 2011 die zweisprachige Vierteljahrsschrift Azure, das wohl ambitionierteste rechtsintellektuelle Projekt Israels, herausgab, worin gleich im ersten Erscheinungsjahr Hazonys scharfsinniger Essay „End of Zionism“ über den Postzionismus erschien. In den letzten Jahren wandte sich Hazony dann der internationalen Bühne zu; als seit 2019 amtierender Vorsitzender der nach seinem Säulenheiligen Edmund Burke benannten Foundation organisierte er die letzten beiden der stets hochkarätig besetzten National Conservatism Conferences, in deren Rahmen er an einer „Internationalen der Nationalen“ (so Karlheinz Weißmann damals in dieser Zeitung) arbeitet. Bei der bislang letzten dieser Konferenzen (2020 in Rom) war mit Beatrix von Storch und Petr Bystron auch die AfD vertreten.

Um den Nationalismus rehabilitieren zu können, definiert Hazony ihn in seinem Buch auf eine recht eigenwillige Weise: Er faßt darunter nicht etwa die Hervorbringung der historischen Nati-onalbewegungen des 19. Jahrhunderts auf, sondern versteht ihn überzeitlich als Gegenstück zum Imperialismus, unter welchem er eine jegliche politische Theorie subsumiert, die völkerübergreifend Wohl zu stiften glaubt. Der Nationalismus ist für ihn demnach der politik-theoretische Ansatz, vornehmlich zugunsten der eigenen Nation zu agieren, statt seine Landsleute zu Handlungen zu bewegen, die sich in erster Linie, ob nun im Guten oder im Schlechten, auf fremde Nationen auswirken. 

Was Hazony unter Nationalismus versteht, ließe sich weitgehend als Partikularismus, und was er unter Imperialismus versteht, als Universalismus bezeichnen. Mit dieser Dichotomie gelingt es nicht nur, das wohl am penetrantesten gebrauchte Argument gegen den Nationalismus, nämlich daß er die Schoah zu verantworten habe, als Ammenmärchen zu entlarven, sondern zugleich, das Verbindende zwischen den multinationalen Imperien der Vergangenheit sowie den heutigen supranationalen Vereinigungen der One-World-Propagandisten hervorzuheben: Bei beiden handele es sich nämlich um imperialistische Gebilde, so sehr letztere auch bestrebt sein mögen, das zu verschleiern. Auch legt Hazony dar, daß der Imperialismus, nicht weniger als der Nationalismus, geeignet sei, Haß zu säen, nämlich denjenigen „eines universalistischen Ideals auf die Nationen und Stämme, die sich weigern, seinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu akzeptieren“.

Besonders deutlich tritt dieser Umstand für den bekennenden Zionisten Hazony in bezug auf Israel zutage, das unablässig Ziel linker Haßkampagnen ist. Überhaupt macht der Autor kein Hehl daraus, aus dezidiert jüdischer Perspektive zu schreiben. So verzichtet etwa sein Nationalismus völlig auf jenen Antiklerikalismus oder gar Antitheismus, der den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts anhaftet; denn für ihn als orthodoxen Juden schließen sich Nation und Religion nicht aus; im Gegenteil betrachtet er die Religion vor allem als kollektive Angelegenheit und die Festlegung des Ritus als eine der zentralen Aufgaben des Staates.

Der Staat als Ersatz für kollektive Loyalitäten

Um seine Theorie zu untermauern, unternimmt der Autor einen staatstheoretischen Streifzug durch die europäische Geistesgeschichte und identifiziert die Ursprünge des Liberalismus (der heute prädominanten Form des Imperialismus, wie er sich etwa in der EU ausdrückt) vor allem in den Vertragstheorien. Hazony arbeitet etwa heraus, daß John Locke mit seinen Abhandlungen über die Regierung (1692) wohl als erster leugnete, daß man in Verpflichtungen hineingeboren werden könne, und stattdessen behauptete, daß man ihnen grundsätzlich als Individuum zustimme. Diese Ausführungen zu Locke erinnern geradezu an Antoine de Rivarol, den von Edmund Burke verehrten Konterrevolutionär, zumal wenn Hazony einwendet, daß die vielbeschworene Freiheit des Individuums immer zunächst die Sicherheit, mithin die Handlungsfreiheit des Kollektivs, dem er angehört, voraussetze. 

Es ist zudem wie bei Rivarol nichts Romantisches in Hazonys so nüchternen Ausführungen, keinerlei Reue über unwiederbringlich verlorene Güter; deshalb glaubt er auch nicht an die Existenz eines etwaigen, der Gesellschaftsordnung vorangehenden Naturzustands, sondern sieht den Staat als nichts weiter an als den Ersatz für kollektive Loyalitäten in kleinerem Maßstab.

Widersprechen möchte man dem Autor nur dort, wo er den Protestantismus ganz und gar dem zuordnet, was er unter Nationalismus versteht, also dem Partikularismus, obwohl doch sämtliche Denker, die er als Theoretiker des die nationalistische „protestantische Struktur“ unterminierenden „liberalen Entwurfs“ identifiziert, neben Locke vor allem Rousseau und Kant, samt und sonders Protestanten waren. Er scheint dies geradezu bewußt außer acht zu lassen, um seine Dichotomie nicht zu gefährden. Allerdings ist diese, wie er auch selbst eingangs eingesteht, vereinfachend, nicht anders als jede andere Dichotomie.

Ein wenig bedauerlich ist, daß der deutsche Übersetzer stellenweise sichtlich ohne große Leidenschaft gearbeitet hat; es finden sich in der deutschen Fassung etwa Flüchtigkeitsfehler wie die wörtliche Übersetzung von „But what cannot be done without obfuscation“ als „Was man aber nicht ohne Verdunkelung kann“. Wer mithin hinreichend versiert im Englischen ist, möge stattdessen zum Original greifen, das mit 30 US-Dollar nicht viel teurer ist und das man sich für kleines Geld nach Deutschland liefern lassen kann.

Yoram Hazony: Nationalismus als Tugend. Ares Verlag, Graz 2020, gebunden, 272 Seiten, 25 Euro