© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Weiter so?
Innenpolitische Vorschau: Super-Wahljahr im Zeichen von Pandemie und Lockdown
Paul Rosen

Es ist eigentlich egal, aus welcher Richtung das neue Jahr 2021 betrachtet wird: Es wird ein epochales werden. Die Ära von Kanzlerin Angela Merkel soll mit der Bundestagswahl am 26. September 2021 enden.16 Jahre wird Merkel dann Kanzlerin gewesen sein, wenn sie ihre Rückzugsankündigungen in die Tat umgesetzt hat. Neben der Bundestagswahl stehen sechs Landtagswahlen an. Aber Corona wird auf der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Agenda weiter den ersten Platz einnehmen.

Merkel wird dann so lange im Kanzleramt gewesen sein wie Helmut Kohl. Der Kanzler der Einheit war von ihr im Zusammenhang mit der heute bereits vergessenen CDU-Parteispendenaffäre vom Thron des Ehrenvorsitzenden gestürzt worden. Der ebenfalls von Merkel gestürzte Kohl-Nachfolger im Parteivorsitz, Wolfgang Schäuble, durfte am Tisch der Königin bleiben und dient ihr derzeit als Bundestagspräsident – ein Amt, das Schäuble auch in der nächsten Legislaturperiode anstrebt. 

Wahlmarathon beginnt in Stuttgart und Mainz

Die Regelung der Merkel-Nachfolge in der CDU ist das erste wichtige auf der Agenda des neuen Jahres. Nach dem Scheitern der Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer bewerben sich der ehemalige Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen um den Vorsitz (siehe Seite 5). Laschet und Röttgen stehen für die von der großen Mehrheit der Funktionäre gewünschte schwarz-grüne Ausrichtung und die Bildung einer Regierung mit den Grünen statt mit der sich im Abstiegskampf windenden SPD nach der Bundestagswahl.

Merz wäre der geborene Kanzler für ein schwarz-gelbes Bündnis früherer Prägung, doch diese Vorstellung ist längst Geschichte. CDU und CSU sind zwar noch Volksparteien, aber bundesweit schon zu weit von der 40-Prozent-Marke entfernt, so daß die FDP ihre frühere Funktion als Zünglein an der Waage nicht mehr wahrnehmen kann. Da sie ansonsten wegen Personal- und Themenarmut kaum noch wahrzunehmen ist, können ihre Mandatsträger froh sein, bei den Landtagswahlen wenigstens in einen Teil der Parlamente wieder zurückzukehren.

Es ist schon phänomenal, daß in der deutschen Innenpolitik die klassischen Themen der FDP, Wirtschaft, Steuern und Geldpolitik, überhaupt keine Rolle mehr spielen. Bei den Landtagswahlen dürften in erster Linie Fragen der Pandemie-Bekämpfung auf der Tagesordnung stehen. Dabei dürfte es vor allem um den Gesundheitsbereich gehen und selten um die inzwischen zerrütteten Staatsfinanzen.

Der Wahlmarathon beginnt am 14. März mit Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. In Baden-Württemberg, wo der Grüne Winfried Kretschmann als erster Ministerpräsident der Grünen seit 2011 regiert, sieht alles danach aus, daß der 72jährige erneut als Sieger aus der Landtagswahl hervorgeht. Die CDU dürfte wieder als Juniorpartner in die Regierung gehen und damit eine Rolle einnehmen, mit der sie sich bereits bestens abgefunden hat. Die SPD kommt als Koalitionspartner nicht mehr in Frage. Sie kämpft mit der AfD um Platz 3.

Etwas besser sieht für die SPD die Lage in Rheinland-Pfalz aus, wo mit Malu Dreyer eine prominente Politikerin Ministerpräsidentin ist. Wenn der Wahlkampf für die CDU und ihren Spitzenkandidaten Christian Baldauf gut laufen sollte, könnte die CDU aber die amtierende Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen sprengen und sich selbst als Juniorpartner andienen. Sollte es für die CDU richtig gut laufen, wäre sogar ein schwarz-grünes Bündnis und damit ein Signal für die Bundestagswahl denkbar. Die jüngsten Umfragen weisen in diese Richtung.

Wahlen in den neuen Bundesländern sind für Politpropheten eine Herausforderung. In Thüringen, wo am 25. April nach der Ministerpräsidenten-Wahlaffäre vorzeitige Neuwahlen anstehen, sehen Umfragen Die Linke mit ihrem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow mit rund einem Drittel der Stimmen vor der CDU und der AfD mit jeweils etwas über 20 Prozent. Ziel der etablierten Parteien ist hier, die Alternative von jeder parlamentarischen Einflußmöglichkeit fernzuhalten. Darum geht es auch für die derzeit regierenden Parteien bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni. Es gilt als wahrscheinlich, daß Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nach der Landtagswahl zum dritten Mal in die Staatskanzlei in Magdeburg einziehen wird. Ob dies wieder mit einem „Kenia-Bündnis“ (CDU, SPD und Grüne) geschieht, ist allerdings offen. 

Im Schatten der Bundestagswahl gibt es zwei weitere Landtagswahlen – nämlich in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. In Berlin liegt die CDU zwar in Umfragen an erster Stelle, aber ohne einen Koalitionspartner dürfte ihr Spitzenkandidat Kai Wegener nur zuschauen, wie die heutige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auch ohne Doktortitel Regierende Bürgermeisterin in der Hauptstadt wird und die Koalition aus SPD, Grünen und Linken fortsetzt. Allerdings könnten auch die Grünen, falls sie in der Hauptstadt stärkste Partei werden sollten, den Anspruch auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters erheben. In Mecklenburg-Vorpommern liegen SPD und CDU Kopf an Kopf, Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) werden bessere Chancen als ihrem Herausforderer Michael Sack von der CDU eingeräumt.

Merkel wird ihrem Nachfolger eine Reihe von Problemen durch „Wenden“ (etwa Energiewende, Verkehrswende) verschiedenster Art hinterlassen. Der Wirtschaft am meisten zu schaffen machen die im Vergleich zu allen Industrieländern in Deutschland höchsten Energiepreise. Als ob es Pandemie und daraus folgende Wirtschaftskrise nie gegeben hätte, erhöhte die Merkel-Regierung zu Beginn des Jahres die Energiekosten ein weiteres Mal. 

Der massive Ausbau von Sozialleistungen wie die Grundrente und die wie mit der Gießkanne verteilten Zahlungen zur Abmilderung von Pandemie-Folgen werden von der Wirtschaftskraft nicht mehr gedeckt. Ein Drittel der deutschen Staatsschulden hält bereits die Europäische Zentralbank (EZB) – ein Vorgang, den man früher als das Anwerfen der Notenpresse bezeichnet hätte. Probleme wie Überalterung, verrottete Infrastrukturen, der verpaßte Anschluß an die Digitalisierung in allen Wirtschaftsbereichen und Antipathien gegen die Automobilwirtschaft, die zu deren Niedergang führen, zeigen, daß für die Lösung der in den Merkel-Jahren angehäuften Probleme kein CDU-Funktionär, sondern ein Herkules nötig wäre.