© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Sitzen bleiben, Briefe schreiben
CDU-Vorsitz: Die Partei setzt auf hybriden Wahlvorgang
Jörg Kürschner

Ein Parteitag sei kein Volksfest, befand im vergangenen Herbst Friedrich Merz, als wegen der Pandemie feststand, daß Großveranstaltungen bis zum Jahresende nicht mehr stattfinden sollten. Der Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz stemmte sich gegen eine neuerliche Verschiebung des für Dezember geplanten Präsenz-Parteitags. Vergebens, trotz aller griffigen Formulierungen und Polemik gegen das Parteiestablishment. Jetzt ist die Nervosität in der CDU groß, denn die Hängepartie hatte bereits im April 2020 begonnen, dem ursprünglichen Parteitagstermin. Auf dem digitalen Parteitag am Freitag und Samstag kommender Woche fällt auch eine Vorentscheidung für den CDU-Kanzlerkandidaten.

Dem Digital-Parteitag wird sich eine Briefwahl anschließen. Das ist das Ergebnis juristischer Beratungen. Eine reine Online-Abstimmung über den Nachfolger der glücklosen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wäre zwar unkomplizierter, aber rechtlich überaus zweifelhaft. Denn das Parteiengesetz definiert Parteitage als Versammlungen. Menschen müssen sich also leibhaftig begegnen. Außerdem könnten ausländische Hacker oder technische Mängel ein digitales Wahlergebnis verfälschen, gaben Verfassungsrechtler zu bedenken. 

Für die 1.001 Delegierten stünden geheime Zugangscodes zu speziellen Internetseiten und Laptops bereit, sucht CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak Befürchtungen zu zerstreuen, die Wahl könne später für ungültig erklärt werden. Aber auch gegen die nachgeschaltete Zusatzabstimmung wurden Vorbehalte laut, da das schriftliche vom digitalen Ergebnis abweichen könne. Ziemiak hält dagegen, die Briefwahl habe nur einen rein akklamatorischen Charakter. Am 22. Januar werde durch „schriftliche Schlußabstimmung“ der Sieger der „digitalen Vorauswahl“ bestätigt, also entweder Merz oder einer der beiden Mitbewerber Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und der Außenpolitiker Norbert Röttgen. 

Wenn es digital zu der erwarteten Stichwahl komme, weil kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht habe, werde mit dem weiteren Wahlgang der Sieger feststehen. Röttgen will im Falle seiner Niederlage keine Wahlempfehlung für Merz oder Laschet abgeben. Alle drei Kandidaten hätten versichert, sie würden das digitale Ergebnis akzeptieren und als Unterlegene nicht an der Briefwahl teilnehmen. Bestimmt werden außerdem die fünf stellvertretenden Vorsitzenden und die 41 Vorstandsmitglieder. Erst nach der öffentlichen Auszählung der Briefwahl ist der neue Parteichef gewählt; eine Woche nach Beginn des Digital-Parteitags. 

Im Konrad-Adenauer-Haus ist man sich darüber im klaren, daß das Wahlergebnis rechtssicher, also über jeden Zweifel erhaben sein muß.

Denn mit der Wahl des neuen Parteichefs wird die Diskussion über den Kanzlerkandidaten gehörig an Fahrt aufnehmen. Anders als Merz und Laschet hat Röttgen erkennen lassen, daß er einen Kanzlerkandidaten Markus Söder akzeptieren könnte. Der CSU-Chef führt in allen Umfragen für das höchste Regierungsamt, betont aber stets, er wolle bayerischer Ministerpräsident bleiben. Wann die Spitzen von CDU und CSU den gemeinsamen Kanzlerkandidaten nominieren, ist offen. 

Nach Ansicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sollte die Entscheidung „nicht vor Ostern“ fallen. Neben der die Öffentlichkeit auf sich ziehenden Kanzlerin Angela Merkel sei der Raum für den Kanzlerkandidaten ein begrenzter, meinte das CDU-Urgestein. „Der Zeitraum, in dem die beiden – der Kanzlerkandidat und die Kanzlerin – nebeneinanderstehen, sollte nicht allzu lang sein“. Zugleich erweiterte er wie auch Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus den Kreis möglicher Kanzlerkandidaten. Der Parteichef müsse nicht unbedingt als Spitzenkandidat antreten, eröffnete Schäuble die Personalspekulationen und brachte damit wieder Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ins Spiel, seinen von ihm aus der Zeit als Bundesfinanzminister geschätzten damaligen Staatssekretär.

„Klare Abgrenzung nach rechts“

Unbeeindruckt von diesen Machtspielchen muß das Parteipräsidium auf dem Berliner Messegelände darauf achten, daß die Vorstellungsrunde von Merz, Laschet und Röttgen reibungslos verläuft. Deren jeweils 15minütige Reden werden von den Delegierten zu Hause oder in den CDU- Kreisgeschäftsstellen verfolgt. Durch „digitales Handheben“ können sie sich zu Wort melden. 

Nach einer letzten Umfrage kommt Merz auf 22,9, Röttgen auf 20,7 Prozent, Laschet landet mit 5,6 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz. Beobachter verweisen aber darauf, daß die Delegierten ihre Wahlentscheidung nach anderen parteiinternen, persönlichen Kriterien treffen könnten.

Etwa nach Karrierechancen, die Laschet kraft Amtes eher bedienen kann als Merz oder Röttgen ohne Regierungsamt. Zu Jahresbeginn legte der Ministerpräsident des größten Bundeslandes zusammen mit Spahn, seinem Kandidaten für den Parteivize, ein „Zukunftspapier“ vor. Darin wird den Parteifreunden einiges versprochen, etwa daß sich die „ganze Breite der Gesellschaft in der Partei und in den Fraktionen auf allen Ebenen widerspiegeln“ müsse. Der Partei wird eine stärkere Teilhabe der Mitglieder, offene Debatten sowie eine nicht näher erläuterte „klare Abgrenzung nach rechts“ in Aussicht gestellt.