© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Kirchners Umschwung machte es möglich
Argentinien: Der Coup der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs spaltet das Land
Jörg Sobolewski

Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs durch den argentinischen Senat am 30. Dezember trifft das Land in einem schwierigen Moment. 

Noch im Februar 2020 hatte eine Mehrheit der Argentinier in landesweiten Umfragen Schwangerschaftsabbrüche mehrheitlich abgelehnt oder sie lediglich nach einer erfolgten Vergewaltigung befürwortet. Dennoch entschied sich die linke Regierung unter Präsident Alberto Fernández kurz vor dem Jahreswechsel, das Wahlversprechen an ihre linke, urbane Unterstützerschicht wahr zu machen. 

Über Monate hatte eine gut organisierte Bewegung aus mehrheitlich jungen Frauen für eine Gesetzesänderung der bisher strikten Rechtslage getrommelt und mit Demonstrationen und Medienkampagnen Einfluß auf die beiden Kammern des Parlaments ausgeübt. 

Das neue Gesetz erlaubt den kostenlosen Abbruch der Schwangerschaft auf Wunsch der Mutter in den ersten vierzehn Schwangerschaftswochen. Die Befürworter der Reform verweisen unter anderem auf den regen Abtreibungstourismus durch die vergleichsweise liberale Rechtslage im benachbarten Uruguay. 

Ihnen gegenüber steht eine breite Front aus überzeugten Katholiken und konservativen Kräften im Land, die sich gegen die neue Rechtslage aussprechen.  In den Wochen vor der Abstimmung hatten Tausende Argentinier sowohl gegen als auch für ein Recht auf Abtreibung protestiert, teils kam es dabei auch zu Zusammenstößen. Auch Papst Franziskus meldete sich auf Twitter zu Wort und bezeichnete jedes werdende Leben als Geschöpf Gottes, unterließ jedoch einen Hinweis auf die Lage in seinem Heimatland. 

Als hauptverantwortlich für die neue Mehrheit im Senat, der 2018 noch eine Liberalisierung ablehnte, gilt vor allem der Meinungsumschwung von Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Diese hatte in der Vergangenheit noch kategorisch eine Liberalisierung abgelehnt, in den letzten Monaten aber ihre Meinung geändert. Dabei verwies Kirchner immer wieder auf die hohe Zahl an illegalen Abtreibungen. Nach behördeninternen Schätzungen kam es in den letzten Jahren zu 350.000 bis 500.000 Abtreibungen im Land pro Jahr. 

Die Regierung in Buenos Aires findet sich mit seinem neuen Gesetz in uneiniger Nachbarschaft wieder. Neben Argentinien und Uruguay haben lediglich Guyana und Französisch-Guayana eine ähnliche Liberalisierung vollzogen, während die Mehrheit der südamerikanischen Länder weiterhin eine Abtreibung nur bei vorheriger Vergewaltigung oder einem gesundheitlichen Risiko für die Mutter erlauben. Im Nachbarland Paraguay erhoben sich die Abgeordneten des Parlaments in Asunción für eine spontane Schweigeminute.