© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Die Internationale der Staatsgläubigen
Corona-Krise: Bundesregierung, EU und IWF agieren als politische Wegbereiter einer gelenkten Mischwirtschaft
Reiner Osbild

Die exorbitanten Kosten der Corona-Krise haben eine wahre Orgie an neuen Staatsschulden und Geldschöpfung ausgelöst. Auch supranationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU haben die Geldschleusen geöffnet. Die Frage nach der Neutralität des Geldes stellt sich neu: Wird der Millardenregen nur die Wunden heilen, damit alles weitergeht wie zuvor, oder kommt es zu einer substantiellen Neuausrichtung unserer Wirtschafts- und Sozialordnung? Werden aus sozialen Marktwirtschaften Mischwirtschaften mit dirigistischem Einschlag?

Green Deal statt New Deal als künftige Normalität

Die Krisenintervention keynesianischer Prägung zielte auf die kurzfristige Behebung pessimistischer Angststörungen in der Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit sollte durch kreditfinanzierte öffentliche Konjunkturpakete und Zinssenkungen bekämpft werden. Das Ganze zielte auf eine höhere Auslastung des bestehenden Produktionspotentials, mithin der Wiederherstellung der Vor-Krisen-Normalität. Nun aber werden wir eingestimmt auf eine neue Normalität: Green Deal statt New Deal – in der EU wie den USA unter Joe Biden.

Die EU erlaubte Subventionen in Höhe von über drei Billionen Euro, um der Corona-Folgen Herr zu werden. Sie selber tritt auf den Plan mit dem 750 Milliarden Euro schweren Next-Generation-Pakt (NGEU, JF 47/20), und dies hat weitreichende Folgen:

? Der Staatseinfluß – EU plus Nationalstaaten – wird sich quantitativ markant erhöhen. Betrug die Staatsausgabenquote in der EU 2019 noch 47 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so wird sie schon bald in Richtung 60 Prozent des BIP anziehen. Die EU als ganze wird damit sogar den Staatsspitzenreiter Frankreich (zuletzt 56 Prozent) toppen.

? Auch qualitativ wird der Staatseinfluß erheblich wachsen, da Umwelt-, Energie- und Klimaprojekte im Fokus der Förderpolitik stehen – Stichwort: Klimaneutralität 2050. Statt mikroökonomischer Eingriffe, etwa durch gezielte Umweltsteuern, wird jetzt eine Makro-Umgestaltung der Wirtschaft angestrebt.

? Wegen der zunehmenden Dominanz der EU- oder kofinanzierten Projekte wird der Staatseinfluß zentralistischer werden. Zudem mutiert die EU mehr zur Umverteilungsunion, darf sie doch 390 Milliarden Euro als Zuschüsse an Mitgliedsländer gewähren, weit über die bisherigen Dimensionen hinaus. Damit wird geltendes Gemeinschaftsrecht verletzt.

? Zölle zur Abwehr „klimaschädlicher“ Produkte (CO2-Grenzausgleich), die in Wahrheit dem Schutz der heimischen Industrie dienen, werden die internationale Arbeitsteilung stören und Gegenreaktion provozieren.

? Die EU wird den Kapitalmarkt durch die Ausgabe von „Green Bonds“ im Volumen von 250 Milliarden Euro prägen. Damit wird ihr Einstieg in den Kapitalmarkt vollzogen, nachdem die Eurobonds noch an rechtlichen Hürden gescheitert waren. Neben Risiko und Renditeerwartung wird die politische Erwünschtheit einer Investition die Anlageentscheidungen der Investoren lenken.

? Letztlich wird es Steuererhöhungen (vielleicht als Klima- oder Umweltabgabe kaschiert) geben müssen, um den Schuldenberg zu bedienen. Politiker von Grünen, SPD und Linken verlangen schon, zur Finanzierung der Corona-Kosten Bezieher hoher Einkommen oder Besitzer großer Vermögen stärker „heranzuziehen“.

Ist „mehr Geld“ wirklich die Lösung aller Probleme? 

Interessanterweise führt dies auch zu einem wirtschaftlichen „Strukturkonservatismus“: Niedrigzinsen und Staatszuschüsse ermöglichen operativ unrentablen Firmen das weitere Überleben. Eigentlich hätten diese „Zombiefirmen“ längst Insolvenz anmelden müssen. Doch sie verbleiben am Markt, während rentable Wettbewerber an Markteintritt oder Expansion gehindert werden. Die Zombies machten bereits vor der Krise etwa zwölf Prozent aller Unternehmen aus.

Staatliche Zuschüsse und Kredite, verlängerte Kurzarbeitergeldansprüche und Insolvenzmeldepflichten (JF 46/20) werden zu einer weiteren Zunahme solcher Firmen führen. Die Wirtschaftsstruktur wird eingefroren; der für die Bekämpfung der Unterbeschäftigung notwendige Strukturwandel bleibt auf der Strecke. Zwar können die Regierungen kurzfristig mit geringeren Arbeitslosenquoten punkten, doch dieser Erfolg ist teuer erkauft. Auch in den Emerging Markets (EM), also ärmeren und aufholenden Ländern, wird es – dank Währungsfonds (IWF) und Weltbank – massive Verschiebungen vom privaten Sektor hin zur öffentlichen Hand kommen. Allein der IWF beziffert seine „Feuerkraft“ auf eine Billion Dollar. Nachdem in den letzten beiden Dekaden 600 Millionen Menschen den Weg aus der Armut gefunden hatten, vor allem dank marktwirtschaftlicher Reformen, droht nunmehr für annähernd 150 Millionen Menschen die Rolle rückwärts (JF 43/20).

Aber ist „mehr Geld“ wirklich die Lösung aller Probleme? Die Mittel fließen zuerst an die herrschenden Eliten, und die haben sich schon allzu daran bereichert, statt sinnvoll zu investieren. Auch könnten undemokratische Strukturen gefestigt werden. Der IWF verfolgt zudem eine dirigistische Agenda: „Wir können mehr, als die vor-pandemische Welt wiederaufzubauen – wir können auf eine Welt hinarbeiten, die widerstandsfähiger, nachhaltig und inklusiv ist“, sagt IWF-Direktorin Kristalina Georgieva (JF 53/20).

Werden die ärmeren Länder so zu Versuchskaninchen der Ideologen in westlichen Institutionen? Der Effekt auf die Wirtschaft wird ähnlich sein wie in der EU: Weniger Markt und mehr Staat ist fast immer verbunden mit einer Verlangsamung von Wachstum und Entwicklung. Zudem ist zu befürchten, daß auch in den EM die Steuerschraube angezogen wird, sobald es an die Bedienung der Schulden geht. Damit drohen wirtschaftliche Anreize geschädigt zu werden.

Angesichts all dessen ist eines gewiß: Der Einfluß des Staates und von supranationalen Akteuren wird massiv zunehmen. Innovationen werden nicht mehr am Markt entdeckt, sondern in Washington, Brüssel und Berlin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen brachte es euphorisch auf den Punkt: „We have the vision, we have the plan, we have the investment.“






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.





Zunahme der deutschen Verschuldung

Die öffentlichen Schulden in Deutschland sind im dritten Quartal 2020 auf das Rekordniveau von 2.195 Milliarden Euro gestiegen. Das waren 15,6 Prozent oder 296 Milliarden Euro mehr als Ende 2019. Der Anstieg sei im wesentlichen in der Aufnahme finanzieller Mittel für Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise begründet, teilte das Statistische Bundesamt zum Jahresende mit. Bereits im ersten Halbjahr 2020 sei mit 2.109 Milliarden Euro der bis dahin höchste Schuldenstand – 2.068 Milliarden Euro zu Jahresende 2012 – übertroffen worden. Am stärksten erhöhte sich die Verschuldung des Bundes: um 20,3 Prozent (241,5 Milliarden Euro) auf 1.430 Milliarden Euro. Die Länderschuld kletterte auf 631 Milliarden Euro, dies entspricht einem Anstieg um 9,1 Prozent (52 Milliarden Euro). Der kommunale Schuldenstand erhöhte sich nur um 1,9 Prozent auf 134 Milliarden Euro. Die Sozialversicherung konnte ihren Schuldenstand in der Krise sogar um fünf Millionen Euro (minus 8,8 Prozent) auf 52 Millionen Euro reduzieren. (fis)

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