© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

„Wir müssen uns Respekt verschaffen“
Zu Besuch bei Deutschlands berühmtestem Bodyguard: Michael Kuhr über Berliner Clan- und Clubleben, Kriminalität und das Versagen der Politik
Martina Meckelein

Helle Begeisterung in der Redaktion für den Vorschlag, einen ausgewiesenen Experten für arabische Clan-Kriminalität nach seiner Meinung und seinen Erfahrungen zu befragen. Und der sagt sofort zu. Kumpelig und knuffig kommt er ja im Fernsehen oder auch seinen Internetkanälen rüber. Einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt und mit Berliner Herz und Schnauze die Sorgen und Nöte Otto Normalverbrauchers öffentlich beim Namen nennt. „Innere Sicherheit ist mein Thema, ich mach mit“, sagt der spontan. Ein Besuch bei Michael Kuhr, Deutschlands berühmtestem Bodyguard.

Berlin-Steglitz. In der Einfahrt parkt ein mächtiger schwarzer Ford Raptor SVT. 6,2 Liter Hubraum, 420 PS, ein Einzelstück. „Mein Greta-Auto, er hat einen Gastank“, sagt er, öffnet die Heckklappe und zeigt auf den schwarzen querliegenden Gastank, der hinter den Rücksitzen verbaut ist. Wie schwer ist der denn? „Keine Ahnung“, grient Kuhr. „Der hat eine Lkw-Zulassung.“ Dann geht es hoch in den ersten Stock der restaurierten Jugendstilvilla, in der er sein Büro hat. Wir sitzen an einem ellenlangen Konferenztisch. Kuhr trägt schwarze Hose, taillierte Weste und Jackett, weißes Hemd, Krawatte. 

„Na, was wollen Sie wissen?“, fragt er. „Erstmal Ihr Alter.“ Kuhr  lächelt, sagt: „Ich bin geboren in Berlin, im Wedding, am 26. Februar 1962. Ich mochte den Wedding früher sehr, heute nicht mehr.“ Er spricht druckreif, sucht nicht nach Worten, hört aufmerksam zu, und fixiert jede Bewegung seines Gegenübers – wie im Boxring. Dabei wirkt er ruhig, aber der ganze Körper scheint gespannt. Da sitzt kein Kumpel in dem schwarzen Ledersessel, da sitzt ein wahrer Schießhund. Und warum mag er seinen Heimatkiez nicht mehr?

Vom Postboten zum anerkannten Sicherheitschef

 „Wissen Sie, die Kriminalität steigt, der Ausländeranteil steigt, das gefällt mir nicht.“ Sollten jetzt Rassisten oder Antirassisten aus verschiedenen Gründen sich die Hände reiben – zwecklos. Kuhr legt gleich nach: „Damit unser ganzes Zusammenleben funktioniert – und ich bin ein Multikulti-Fan, ich bin mit diesen Leuten aufgewachsen, viele sind meine Freunde – müssen harte Regeln gelten“, sagt er. „Wir müssen uns Respekt verschaffen.“ Kuhrs Handlungsanweisung: „Die Leute müssen verstehen, daß hier das Gundgesetz zählt.“

 1982 begann der Postbeamte als Angestellter im „Clubgeschehen“, so bezeichnet er die Szene, zu arbeiten. Die Diskobetreiber nahmen den sechsfachen  Kickbox-Weltmeister mit Kußhand. „Damals waren schon Türken und Araber hier, und es kamen dann auch noch die Flüchtlinge aus dem Libanonkrieg zu uns. Die machten dann erst einmal die Drecksarbeit für die Deutschen.“ 

Eine andere Chance zum Geldverdienen, so erklärt Kuhr die 40jährige Karriere-Entwicklung vom Analphabeten über den Laufburschen zum Clan-Chef, hätten die nicht gehabt. „Denn die angeblichen Integrationsbemühungen seitens der Regierung hat es gar nicht gegeben. Die Leute aus dem Libanon hatten hier keine Schulpflicht, durften nicht studieren, nicht arbeiten. Die Bundesregierung ging nämlich davon aus, daß sie zurückgehen. Im Grunde blieb denen nur die reine Perspektivlosigkeit. Ich kenne viele, die eine Kettenduldung haben. Zehn, 15 Jahre lang – das ist ein Integrationshindernis. Die hatten, so wie die gestrickt sind, gar keine andere Chance, als in die Kriminalität zu rutschen.“

 Doch wie sind die Türken und Araber denn gestrickt? Warum sollten diese Menschen nicht einfach glücklich sein, aus dem Krieg in ein friedliches Land zu kommen und versuchen, ein auskömmliches Leben zu führen? „Die Männer wollen Eindruck machen, die wollen Geld und schicke Autos. Die wollen Mädchen einladen. Die wollen in wenig Jahren viel Geld machen. Die machen große Dinger in kurzer Zeit. Hohes Risiko, und dafür gibt es viel Geld oder ein paar Jahre Hotel, so nennen die das Gefängnis. Die haben keinen Respekt vor unseren Gesetzen. Warum auch? Würde es für solche Nummern wie den Pokerüberfall 20 statt fünf Jahre Knast geben, dann wäre das etwas anderes. Man muß die bändigen, man muß ihnen Respekt abverlangen, anders geht das nicht.“ 

Respekt hat sich Kuhr in der Szene selbst schwer erarbeitet. Zum einen im Ring: „Da saßen die Clanführer in der ersten Zuschauerreihe, waren meine Fans.“ Und zum anderen durch seinen Mut: Er trat gegen einen der gefährlichsten Araberclans in Deutschland als Zeuge auf.

 Der Überfall ist am 6. März 2010 im Hyatt-Hotel in Berlin. Vier Männer mit Schußwaffen und Macheten stürmen ein internationales Pokerturnier vor laufenden Kameras und rauben die Einnahmen, über eine halbe Million Euro. Kuhrs Security, er ist seit 1994 selbständig, hat über 70 Mitarbeiter,  ist zum Schutz der Veranstaltung vor Ort. Seine Männer sind auf Wunsch des Hotels unbewaffnet. Michael Kuhr ist als einziger bewaffnet, kann an dem Tag aber nicht pünktlich sein, weil er einen unverschuldeten Autounfall hat.

Charme? Es geht nur um Geld und Macht

Einer der Sicherheitsleute, ein ehemaliger Polizist, stellt sich als erster den Kriminellen entgegen, wird mit einer Machete verletzt. Die Täter arbeiten teils ohne Handschuhe, reißen sich auf der Flucht die Sturmhauben und Masken von den Gesichtern, werden dabei fotografiert. „Die haben sich in etwa so professionell benommen wie die Olsenbande“, schätzt Kuhr heute die Taktik dieser Möchtegern-Räuber ein. 

Zwar entkommen sie mit einem Teil der Beute, einer flüchtet in den Libanon, allerdings stellen sie sich vier Wochen später – oder werden noch in Deutschland festgenommen. Es sind junge Männer, alle Clan-Angehörige. Es kommt zu mehreren Prozessen. „Ich habe als erster gegen den Abou-Chaker-Clan damals ausgesagt“, so Kuhr. „Ich bin in den Gerichtssaal rein, aber ich habe mich nicht gleich hingesetzt. Ich blieb vor der Zuschauerbank stehen. Ich habe das durchgespielt, ganz langsam habe ich mir alle Gesichter angeschaut, jedes einzelne. Da saßen lauter Clanmitglieder.“ 

Ein stummer Kampf „Einer gegen alle“. Erst dann setzt er sich hin. Kuhr identifiziert vor dem Landgericht Abou-Chaker als den Tip-Geber für den Raubüberfall im Hotel. Die Antwort des Clans läßt nicht lange auf sich warten, vermutet die Polizei. „Die informierten mich, daß auf mich ein Anschlag mit einer Maschinenpistole auf meiner Gassirunde mit meinem Dobermann verübt werden soll.“ 

Er bekommt Polizeischutz. Doch Kuhr macht noch etwas anderes: „Ich stellte Abou-Chaker zur Rede, und der stritt alles ab. Jetzt reden wir auf Augenhöhe – das ist Respekt in deren Augen.“

 Heute sichert Kuhr alle Spielbanken, arbeitet im Veranstaltungsschutz und eben Personenschutz. Vom US-Hollywoodstar bis zum Geschäftsführer, der mit dem Feuer gespielt hat. „Die sitzen dann hier an diesem Tisch, an dem wir jetzt sitzen, und weinen und zittern.“

 Manager, die mit Millionen von Euro tagtäglich jonglieren, „hire and fire“ mit ihren Mitarbeitern spielen, was haben die mit arabischen Clans zu tun? „Die lernen die in den Clubs kennen. Und glauben Sie mir, Araber sind sehr charmant und höflich, jedenfalls zu Anfang. Diese Manager fühlen sich von diesen Kriminellen angezogen, sind fasziniert von deren Gewalt und Dominanz. Die sind selbst dominant und glauben sich mit denen auf Augenhöhe – und das ist ein Fehler. Ein Deutscher muß erkennen, daß es hier nicht um Charme geht, es dreht sich alles nur um Geld und Macht. Und die wollen die Clans dann über solche Männer, deren Netzwerke und Firmen ausweiten. Die sagen denen, wenn du nicht mitmachst, schicke ich dir die Rocker auf den Leib.“

Arabische Clans bekommen Konkurrenz 

Doch wer da mitmache, sagt Kuhr, habe schon verloren. „Machen wir uns nichts vor, die sind brandgefährlich. Die schießen wahllos, die stechen in den Oberschenkel, wohlwissend, daß sie dadurch töten.“ Seine Strategie sei deshalb auf der einen Seite der Personenschutz. Parallel dazu gehe Kuhr für seinen Kunden zu dem jeweiligen Clanchef. „Dem erkläre ich dann, er soll meinen Kunden in Ruhe lassen, ansonsten gehen wir zur Polizei, und die würden dann ermitteln. Und genau das wollen die Clans nicht. Bloß keinen Staub aufwirbeln. Die wollen unbeobachtet ihre Geschäfte weitermachen.“

 Genau das ist auch die Strategie des Berliner Innensenators Andreas Geisel (SPD). Mit Nadelstichen will er den Araber-Clans das Geschäft vergällen. Ende 2020 veröffentlichte das Innenressort das „Lagebild Organisierte Kriminalität (OK)“ der Berliner Polizei. Demnach bearbeiteten die Ermittler 2019 elf Clan-Verfahren, davon vier Eigentums- und vier Rauschgiftdelikte. 2018 waren es fünf sogenannte OK-Komplexe gewesen. Der Tagesspiegel schreibt dazu süffisant: „Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Organisierte Kriminalität von Clans steigt. Innensenator Andreas Geisel wertet das als Erfolg.“

Kuhr ist weder ein Freund des Innensenators noch der Bundesregierung. Er kritisiert täglich die Regierung auf seinen Social-Media-Kanälen. Die Politik seit 2015 hält er für eine „Katastrophe, die Regierung produziert Unsicherheit, und im Grunde hat sie sich doch das Arbeitsfeld der Clans zu eigen gemacht. Unsere Politiker haben entdeckt, daß man mit Angst viel erreichen kann.“ Kuhr gefällt mit seinem Klartext nicht jedem. „Seit einiger Zeit zensieren die mich. Bei Youtube hatte ich 200.000 Zugriffe monatlich, jetzt noch 5.000 im Monat.“

 Trotzdem engagiert er sich in der Werteunion. „Im kommenden Jahr werde ich die CDU-Berlin im Wahlkampf unterstützen.“ Von den Politikern ist er als Sachverständiger allerdings bisher noch nicht eingeladen worden. „Dabei habe ich dem Geisel einmal öffentlich vorgeschlagen, daß er ein Jahr bei vollem Gehalt zu Hause bleiben soll und ich seinen Job als Innensenator mache.“

Wie alles im Leben ist auch die Kriminalität dem Wandel der Zeit unterworfen. Verdrängten die Araber Anfang der Neunziger die Deutschen, sind es jetzt die Tschetschenen, Russen und Kurden, die die Logenplätze in der Kriminalitätshierarchie den Arabern streitig machen und Berlin erobern. „Die gehen cleverer vor, die bleiben im Hintergrund, die spielen sich nicht so auf“, sagt Kuhr. Den wichtigsten Grund für die Verdrängung der arabischen Clans sieht er allerdings in ihrem Wohlstand: „Die sind einfach fett geworden.“ Wir Deutschen sollten auch mal in den Spiegel schauen.

Foto: Michael Kuhr und sein Ford Raptor SVT. 6,2 Liter Hubraum, 420 PS, ein Einzelstück: Wie schwer ist der denn? „Keine Ahnung“, grient Kuhr. „Der hat eine Lkw-Zulassung“